Die Forschungsgruppe „Rekonfiguration und Internalisierung von Sozialstruktur“ (RISS) untersucht den sozialen Wandel der Gegenwart
Unsere Vorfahren würden staunen: Frauen und Arbeiterkinder im Arztkittel, Menschen mit Migrationsgeschichte in der Richterrobe und in den großen Firmen hochqualifizierte Beschäftigte aus der ganzen Welt. Dies sind Beispiele für soziostrukturellen Wandel, der Auswirkungen auf die sozialen und politischen Orientierungen der Menschen hat. Einerseits erleben wir ein hohes Maß an sozialer Mobilität und Teilhabe, andererseits nehmen auch Benachteiligungen und gesellschaftliche Konflikte zu. Was passiert da mit der Gesellschaft, und wie wirkt sich das auf den Einzelnen und das Kollektiv aus? Damit befasst sich eine neue Forschungsgruppe unter Beteiligung von Soziologie und Politologie an der Goethe-Universität.
FRANKFURT. An der
Goethe-Universität gibt es eine neue Forschungsgruppe: Wie die DFG gestern
bekanntgegeben hat, kann das Projekt mit dem Titel „Rekonfiguration und
Internalisierung von Sozialstruktur“ („Reconfiguration and Internalization of
Social Structure“, RISS) im Herbst die Arbeit aufnehmen. Die Förderung für
zunächst vier Jahre ist befürwortet worden, insgesamt erhält die
Forschungsgruppe rund 3 Millionen Euro. Im Zentrum des Projekts steht der
gesellschaftliche Wandel und dessen Auswirkungen in ihrer ganzen Komplexität.
Es gibt verschiedene Hypothesen dazu, wie sich der
gesellschaftliche Wandel, der an so vielen Stellen zu beobachten ist,
langfristig auswirken könnte: Wird die sozialstrukturelle Durchmischung von
Menschen mit unterschiedlichen Gruppenzugehörigkeiten zu mehr Integration und
Einigkeit führen? Oder ist eher das Gegenteil der Fall, und die Identifikation
mit der Gesellschaft schwindet? Wer aufmerksam die Geschehnisse verfolgt, kann
nicht übersehen: Nach Jahren einer sozial durchlässigen Sozialstruktur und
erhöhter Mobilität gibt es weniger soziale und politische Stabilität als
früher, nicht mehr. Die Forschungsgruppe RISS will nun eine Theorie entwickeln
und empirisch testen, die die soziostrukturelle Prägung von individuellen und
kollektiven Orientierungen erklären hilft. Sprecherin ist die Soziologin Prof.
Dr. Daniela Grunow von der Goethe-Universität, wo auch die meisten Mitglieder
der Gruppe forschen und lehren. Ko-Sprecher ist Prof. Dr. Richard Traunmüller
von der Universität Mannheim.
„Die Entfremdung von demokratischen Prinzipien und die
Polarisierung der Gesellschaft wird zunehmend als Problem wahrgenommen. Ich
freue mich, dass an der Goethe-Universität nun mit Nachdruck daran gearbeitet
wird, dieses Phänomen wissenschaftlich besser fassen zu können“, sagt Prof. Dr.
Bernhard Brüne, als Vizepräsident zuständig für Forschung. „Wir gehen von einem
dezidiert multidimensionalen Ansatz zur Sozialstruktur aus und wollen die
Komplexität der Thematik in einer Kombination aus Sozialstrukturanalyse und
Politischer Soziologie untersuchen“, erklärt Daniela Grunow, die Sprecherin der
Gruppe.
Wie lassen sich eine „individualisierte“ Sozialstruktur oder das
Ende der „politisierten“ Sozialstruktur mit der menschlichen Neigung zur
Gruppenbildung und den gegenwärtigen soziopolitischen Konflikten vereinbaren?
Die Komplexität dieser Fragestellung, so Grunow, werde bislang von der
Forschung nicht ausreichend abgebildet. Die Forschungsgruppe schlägt eine neue
analytische Perspektive vor. „Obwohl sich die Sozialstruktur dramatisch
verändert hat, hat sie nichts von ihrer prägenden Kraft eingebüßt. Statt einer
Auflösung der Sozialstruktur erleben wir ihre grundlegende Rekonfiguration
sowie eine veränderte Internalisierung von Sozialpositionen und
Gruppenzugehörigkeiten“, erläutert die Soziologin. Um diese Transformationen zu
begreifen, sollen die neuartigen Sozialstrukturen daraufhin untersucht werden,
wie sie Sichtweisen, Überzeugungen und Präferenzen prägen. Bislang konzentriere
sich die Forschung auf einzelne strukturelle Dimensionen wie Bildungserfolg, sozioökonomischer
Status, Geschlechterverhältnis oder Migration und ethnische Vielfalt. Es sei
jedoch notwendig zu verstehen, wie sich Wandel in diesen Einzeldimensionen
verschränkt und umfassende Rekonfigurationen der Sozialstruktur bedingt.
Die Initiative des breit angelegten Projekts geht von InFER aus,
dem Institut für empirisch-analytische Forschung an der Goethe-Universität.
InFER ist 2016 von Prof. Dr. Grunow und ihren Kolleginnen und Kollegen
gegründet worden, insgesamt sind rund ein Dutzend Professorinnen und
Professoren der Goethe-Universität mit ihren Teams daran beteiligt. Ziel des
Instituts ist es, empirisch-analytische Forschung zu sozialem Wandel, sozialer
Ungleichheit sowie politischer Partizipation und Repräsentation zu stärken.
InFER wird die neue Forschergruppe vor allem infrastrukturell unterstützen.
Porträt von Prof. Dr. Daniela Grunow zum Download: http://www.uni-frankfurt.de/102967811
Bildtext: Prof. Dr. Daniela Grunow ist Sprecherin der
neuen DFG-Forschungsgruppe RISS an der Goethe-Universität. (Foto: Jan Hering)
Weitere Informationen
Prof. Dr. Daniela Grunow
Professur
für Soziologie mit dem Schwerpunkt Quantitative Analysen gesellschaftlichen
Wandels
Institut für Soziologie
Goethe-Universität
Telefon 069 798-36645 (Sekretariat)
E-Mail grunow@soz.uni-frankfurt.de
Homepage https://www.fb03.uni-frankfurt.de/44692678/Prof__Dr__Daniela_Grunow