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Mai 24 2012
11:57

Alexander Kluge Dozent bei der Frankfurter Stiftungsgastdozentur Poetik – Erste Vorlesung zur „Theorie der Erzählung“ am 5. Juni

„Gattung Kluge“: Literatur zwischen Fiktion und Realität

FRANKFURT. Als „Gattung Kluge“ bezeichnete Jan Philipp Reemtsma die literarischen Texte zwischen Fiktionalität und Wirklichkeit, die Alexander Kluge kreiert hat, und fügte hinzu: „Sein Werk ist Literatur, aber eine Literatur, die sich nicht der Unterscheidung von Fiktion und Tatsache fügt.“ Als Dozent der renommierten Frankfurter Stiftungsgastdozentur für Poetik wird Kluge ab dem 5. Juni über die „Theorie der Erzählung“ sprechen. An vier aufeinander folgenden Dienstagen hält er jeweils um 18.15 Uhr im Hörsaal HZ 2 des Hörsaalzentrums auf dem Campus Westend der Goethe-Universität seine Poetikvorlesung.

Kluge wird vor Studierenden, Wissenschaftlern und interessierten Bürgern, bei denen sich die Poetik-Vorlesungen seit Jahren besonderer Beliebtheit erfreuen, seine Perspektive auf das zeitgenössische literarische Schreiben darlegen. „Das Rumoren der verschluckten Welt. Die Lebensläufe und das Wirkliche“ ist der Titel seiner ersten Vorlesung am 5. Juni. Dazu Kluge: „Unsere Lebensläufe sind die Häuser, aus deren Fenstern wir Menschen die Welt deuten.“ Seine Erzählprojekte kreisen häufig um Lebensläufe, so auch die jüngste Publikation „Das fünfte Buch. Neue Lebensläufe. 402 Geschichten“ (2012), die Geschichten des 20. und 21. Jahrhunderts gleichsam bergen und verdichten. Seit 2000 bringt Kluge, promovierter Jurist, der sich als Schriftsteller und Filmemacher, Philosoph, Kunst- und Medientheoretiker sowie Hochschullehrer einen Namen machte, verstärkt wieder Bücher heraus: Neben größeren literarischen Werken wie „Chronik der Gefühle“ (2000), „Die Lücke, die der Teufel läßt“ (2003) oder „Das Bohren harter Bretter“ (2011) ist auch eine Reihe kleinerer Prosasammlungen entstanden.

„Das Handwerkszeug für Text und Film. Die Poetik selbst“ hat Kluge seinen zweiten Vortrag am 12. Juni betitelt. Filmische Verfahrensweisen sind ebenso präsent in seinen literarischen Texten, „schon in den allerersten war der Filmschnitt geschärft durch entsprechende literarische Montagetechniken“, so Fritz Göttler in der Süddeutschen Zeitung aus Anlass von Kluges 80. Geburtstag im Februar; der SZ-Autor bezeichnet Kluge als „intellektuellen Schattenspieler des deutschen Kinos und der deutschen Literatur“. Kluge war vor 50 Jahren Mitinitiator des als Abkehr vom alten deutschen Film formulierten „Oberhausener Manifests“, das er heute für so aktuell wie 1962 hält, sowie Mitbegründer des Neuen Deutschen Films. Seit 1988 ist Kluge ebenso im Fernsehen durch die Produktion innovativer TV-Formate, so etwa die Reihe „Facts&Fakes“, bekannt geworden.

Weitere Themen der Vorlesungsreihe sind am 19. Juni „Die Wirklichkeitsmassen, die auf ihre Erzählung warten“ und am 26. Juni „Die Unabweisbarkeit des Erzählens“. Im Anschluss an diese Vorlesung liest Alexander Kluge um 20.30 Uhr im Literaturhaus Frankfurt. Begleitend findet ab 5. Juni eine Ausstellung im „Fenster zur Stadt“ im Haus des Buches, Braubachstraße 18-22, statt. In einem Interview im aktuellen UniReport der Goethe-Universität umriss Kluge, was er unter dem „Erzählraum der Wirklichkeit“ versteht: „In einer Welt, in der auf unserem Planeten 7 Milliarden Menschen leben, hat sich die Wirklichkeit insofern verändert, als deren Maße gegenüber meinem Geburtsjahr 1932 nachhaltig größer geworden sind. Diesen Wirklichkeitsmassen müssen wir uns stellen. Dies ist der ‚Erzählraum der Wirklichkeit‘. Es ist der gleiche Raum für Leser und Autoren… So wie wir Menschen unsere Vorgeschichte in unseren Körpern und in unserem Geist als Erzählung mit uns tragen.“

Mit Frankfurt verbindet Kluge, der nicht nur in Frankfurt (wie auch in Marburg) studiert, sondern auch später hier lange Jahre gelebt hat, entscheidende Impulse für seine unterschiedlichsten Projekte. Neben Rechtswissenschaften, er promovierte 1956 über „Die Universitätsselbstverwaltung“, studierte Kluge auch Geschichte und Kirchenmusik. In seiner Frankfurter Zeit pflegte Kluge intensiven Kontakt zu Theodor W. Adorno und den übrigen Wissenschaftlern des Instituts für Sozialforschung; aus dieser Zeit rührt auch seine enge Freundschaft zu Jürgen Habermas. Die Kritische Theorie ist stets ein wichtiger Bezugspunkt für Alexander Kluges Produktionen geblieben. Sich selbst bezeichnet Kluge in dem Uni-Report-Interview als „Poet dieser Theorie“ und betont, dass damit eine Haltung verbunden sei, die er „über die Jahre hinweg für entscheidend halte. Sie sagt im Jahr 1932: eine Theorie, die das Dritte Reich und die Barbarei nicht, ehe sie beginnt, aufhält, taugt nichts. Nachträglich betrachtet: wir müssen Denken und Haltung, also das was man kritisch nennt, radikal ändern.“

Kluge erhielt im Laufe der Jahre zahlreiche Preise, darunter 1966 den Silbernen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig, 2001 zum zweiten Mal den Bremer Literaturpreis, 2003 den Georg-Büchner-Preis (zu dem Reemtsma die Laudatio hielt) sowie 2008 den Deutschen Filmpreis.

Mit Alexander Kluge wird die erfolgreiche Geschichte der Poetikdozentur fortgeführt. Der ersten Dozentin Ingeborg Bachmann folgten mittlerweile über 65 namhafte Autoren und Autorinnen, darunter Hans Magnus Enzensberger, Ernst Jandl, Christa Wolf, Marlene Streeruwitz, Uwe Timm, Navid Kermani oder im vergangenen Wintersemester Thomas Meinecke.

1959 vom Verlag S. Fischer in Form einer Stiftungsgastdozentur eingerichtet, wurden die Frankfurter Poetikvorlesungen ab 1963 von dem Suhrkamp Verlag sowie der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität getragen. Seit 2011 steht hinter der Stiftungsgastdozentur für Poetik ein Konsortium, das sich zur Fortsetzung der langen Tradition der Frankfurter Poetikvorlesungen gebildet hat. Es besteht neben der Goethe-Universität aus den Verlagen S. Fischer, Schöffling & Co und Suhrkamp, den Freunden und Förderern der Goethe-Universität, dem Kulturamt der Stadt Frankfurt sowie dem Literaturhaus Frankfurt.

Interview mit Alexander Kluge im aktuellen UniReport:  www2.uni-frankfurt.de/41017643/020

Informationen: Prof. Dr. Susanne-Komfort-Hein und Anne-Marie Bernhard (M.A.), Stiftungsgastdozentur für Poetik, Institut für Deutsche Literatur und ihre Didaktik, Campus Westend, Tel.: (069) 798- 32855; poetik@lingua.uni-frankfurt.de