Wissenschaftler von Goethe-Universität, Universität Basel und Forschungszentrum Point Sud haben gestern einzigartige Postgraduiertenakademie in Bamako (Mali) eröffnet
FRANKFURT. Die
Grundlagenforschung in afrikanischen Staaten zu stärken, das ist das Ziel der
neuen Postgraduiertenakademie in der malischen Stadt Bamako – insbesondere im
Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Einrichtung, die von der
Gerda Henkel Stiftung finanziert und von Wissenschaftlern aus Frankfurt und
Mali konzipiert wurde, ist am vergangenen Montag, 2. März, feierlich eröffnet
worden.
Trotz großer Fortschritte finden die frankophonen afrikanischen
Länder weltweit noch wenig Beachtung in der globalen Wissensproduktion.
Insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften orientiert man sich stark
am Problemlösungsbedarf von Politik und Entwicklungsindustrie – auf Kosten des
Weiterentwicklungspotenzials der Fächer. „In politisch orientierten Diskursen
steht die Wissenschaft in der Pflicht, Lösungen für menschliche Probleme zu
liefern, und der praktische Nutzen wird zum Messstandard für die Feststellung
der Gültigkeit von Wissen“, beschrieb Prof. Elisio Macamo von der Universität
Basel, einer der beiden Gründungsdirektoren, die Situation bei der Eröffnung.
Tatsächlich laufe die Debatte darüber, inwieweit die Wissenschaft gefordert
ist, relevantes Wissen zu produzieren, auf ein Dilemma hinaus, das die
Diskussion äußerst schwierig gemacht habe. „Die Wissenschaftler stecken
besonders in Afrika in einer Zwickmühle zwischen der Vermittlung nützlichen
Wissens bei gleichzeitiger Verwässerung wissenschaftlicher Standards einerseits
und der Aufrechterhaltung wissenschaftlicher Standards bei gleichzeitigem Risiko
der Irrelevanz andererseits“, so Macamo.
Welche Rolle spielt Grundlagenforschung in den Sozial- und
Humanwissenschaften in einem Kontext, der im öffentlichen Bewusstsein vor allem durch „scheinbar offensichtliche Problemlagen“ gekennzeichnet ist, die es mit
Hilfe des an den Universitäten erlernten wissenschaftlichen Repertoire zu lösen
gelte, fragte auch Prof. Mamadou Diawara vom Institut für Ethnologie der
Goethe-Universität, der die neue Akademie gemeinsam mit Macamo und
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Mali gegründet hat. Die
konzeptuelle und methodische Weiterentwicklung der Disziplinen selbst bleibe
dabei oft auf der Strecke. Es sei jedoch von größter Wichtigkeit, die Probleme
grundlegend zu verstehen und die richtigen Fragen zu formulieren. Dies sei
leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Das Übermaß an
„angewandter Forschung“ im Dienst der Entwicklungspolitik führe dazu, so die
Wissenschaftler, dass Afrika in der globalen Wissensproduktion immer weiter
zurückfalle, was sich besonders im frankophonen Afrika zeigt, das im Zentrum
des Projektes steht.
Die „Pilote African Postgraduate Academy (PAPA)“, die von
Goethe-Universität, Universität Basel und Forschungszentrum Point Sud in Bamako
entwickelt wurde, versteht sich jedoch ausdrücklich nicht als dekoloniales
Projekt. „Wir sind nicht auf der Suche nach einer afrikanischen Wissenschaft,
die alles anders macht als die sogenannte europäisch geprägte Wissenschaft. Wir
wollen das wissenschaftliche Vokabular vielmehr von solchen gedanklichen
Korsetten befreien“, führte Macamo aus. PAPA soll die Grundlagenforschung in
den Geistes- und Sozialwissenschaften stärken. Fünfzehn
Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus acht Ländern nahmen nach
der Eröffnung ihre Forschungsarbeit auf. Die wissenschaftliche Leitung haben
Prof. Mamadou Diawara und Prof. Elisio Macamo inne. Das Ausbildungsprogramm der
Akademie soll die Stipendiaten ermutigen, sich in einem kritischen Dialog mit
ihren Disziplinen, den Area Studies und ihrer Identität als Wissenschaftler mit
grundlegenden epistemologischen Fragen auseinanderzusetzen. Nach Abschluss des
dreijährigen PAPA-Zyklus sollen die sorgfältig ausgewählten jungen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an ihren Heimatinstitutionen auf einem
neuen Niveau lehren und veröffentlichen. Zweimal im Jahr soll es zweiwöchige
Workshops in Bamako geben, an denen fünfzehn ausgewählte
Nachwuchswissenschaftler und bis zu vier etablierte Wissenschaftler in Bamako
teilnehmen. Ein Mentoring-Programm soll hochrangige Forscher und Preisträger an
ihren Heimatinstitutionen zusammenbringen. Zudem soll ein starkes Netzwerk
entstehen, das Wissenschaftlern und Dozenten aus frankophonen afrikanischen
Ländern, die innerhalb und außerhalb Afrikas leben, für Austausch und gemeinsame
Projekte zur Verfügung steht. Das Projekt wird von der Gerda Henkel Stiftung
für die ersten drei Jahre gefördert.
Feierlich eröffnet wurde die Veranstaltung vom malischen Minister
für Bildung und Forschung, Prof. Mamadou Famanta, und dem Deutschen Botschafter
in Mali, Dr. Dr. Dietrich Fritz Reinhold Pohl. Den Festvortrag hielt der
renommierte senegalesische Philosophieprofessor Prof. Souleymane Bachir Diagne
von der Columbia University, New York zum Thema „La question de l'Universel et
les Etudes Postcoloniales“. Auch Diagne wandte sich gegen die Radikalität von
Post- und Dekolonialisten: „Natürlich sollen wir die koloniale Bibliothek nicht
verbrennen, sondern nutzen und kritisieren.“ Er sprach sich gegen eine
„Erfahrungswissenschaft“ aus, in der Forschungen über bestimmte
Bevölkerungsschichten nur noch von dieser selbst durchgeführt werden können, da
alle anderen angeblich keine Vorstellung von deren Lebenswirklichkeit haben
können. „Die Vorstellung, dass die Alltagsprobleme schwarzer Frauen ausschließlich
von schwarzen Frauen untersucht werden können, ist absurd. Mit so einem
Vorgehen ist die Wissenschaft schnell am Ende“, so Diagne. Mit seinem
brillanten Vortrag und einer mehr als einstündigen Diskussion mit den Fellows
endete die Eröffnungsfeier.
Am Nachmittag ging es dann ins Forschungszentrum Point Sud, das seit 2012 von der Goethe-Universität im Rahmen eines DFG-Programms finanziert wird. Hier lernten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die dort arbeitenden Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler kennen. Abends wurde der Projektstart bei traditioneller Kora-Musik gefeiert.
Bilder zum Download finden Sie unter: https://uni-frankfurt.de/86320819
Bildtexte:
PAPA0001:
Prof. Mamadou Diawara (links) und der Minister für Bildung und
Forschung, Prof. Mamadou Famanta, bei der Eröffnung in Bamako. (Foto:
Stefan Schmid)
PAPA0002:
Vorstellung des Forschungszentrums Point Sud durch den Vizedirektor Prof.
Tiéman Diarra. (Foto: Stefan Schmid)
PAPA0003:
Gruppenbild mit Fellows und Mentoren. (Foto: Stefan Schmid)
PAPA0004:
Die Fellows der neuen Postgraduiertenakademie. (Foto: Stefan Schmid)
Informationen: s.schmid@em.uni-frankfurt.de; weitere Informationen
zum PAPA-Projekt und den ausgewählten Stipendiatinnen und Stipendiaten finden
Sie auf der Webseite von Point Sud: http://pointsud.org/pilot-african-postgraduate-academy-papa/?lang=en
oder auf den Seiten der Goethe-Universität (https://aktuelles.uni-frankfurt.de/forschung/staerkung-fuer-grundlagenforschung-in-afrika/
) und der Gerda Henkel Stiftung (https://www.gerda-henkel-stiftung.de/pressemitteilung?page_id=120413#top