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Dez 18 2019
12:10

Leukämie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben eine gemeinsame Ursache

Wenn mutierte Blutzellen dem Herzen schaden

FRANKFURT. Vermutlich findet man bei fast jedem 60-Jährigen Klone mutierter Blutzellen. Je nach Art der Mutation bedeutet das ein erhöhtes Leukämierisiko. Neu ist, dass mutierte Blutzellen auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen können. Das berichten Forscher der Goethe-Universität in der aktuellen Ausgabe von „Forschung Frankfurt“.

„Jede Sekunde entstehen im Knochenmark fünf Millionen neue Blutzellen, die alternde Zellen ersetzen. Gelegentlich erfährt eine Blutstammzelle eine Mutation, die ihr Überlebensvorteile bringt, so dass sie mehr direkte Nachkommen erzeugt“, erläutert der Stammzellenforscher Prof. Michael Rieger, Universitätsklinik Frankfurt. Die Ansammlung veränderter (mutierter) Zellen nennt man einen Klon; dessen Entstehung klonale Hämatopoese.

„Nach allem, was wir bisher wissen, sind die meisten Menschen, bei denen klonale Hämatopoese auftritt, völlig gesund“, sagt Leukämiespezialist Prof. Hubert Serve, Direktor der Klinik für Hämatologie und Onkologie an der Universitätsklinik Frankfurt. Aber ganz harmlos seien diese Klone nicht, denn oft sind die Mutationen identisch mit denen, die bei Patienten mit Leukämien auftreten. Doch erst durch die Kombination mehrerer Mutationen wird aus einer harmlosen Blutzelle eine bösartige Leukämiezelle. Dabei spielen Umweltfaktoren wie Rauchen, Ernährung und Bewegung eine wichtige Rolle.

Relativ neu ist die Erkenntnis, dass Menschen mit Genveränderungen im Blut verstärkt an Atherosklerose leiden und häufiger einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden. Erst vor wenigen Monaten entdeckte ein interdisziplinäres Team aus Ärzten und Wissenschaftlern am Universitätsklinikum Frankfurt, dass bei Menschen mit chronischer Herzinsuffizienz nach einem Infarkt auch gehäuft Klone mutierter Blutzellen nachweisbar sind. Patienten mit den beiden häufigsten Mutationen hatten eine deutlich schlechtere Prognose, auch beim Einsatz einer künstlichen Herzklappe per Katheterverfahren. Der Krankheitsverlauf wurde dabei von der Größe des mutierten Blutzellklons beeinflusst.

Seitdem arbeiten die Frankfurter Forscher mit Hochdruck daran, die zugrunde liegenden Mechanismen zu entschlüsseln. Eine wichtige Rolle scheint dabei das Immunsystem zu spielen. Einige Mutationen, die zu genveränderten Blutzell-Klonen führen, wirken sich auch auf die Fresszellen (Makrophagen) des Immunsystems aus. Diese setzen dann vermehrt entzündungsfördernde Stoffe (Zytokine) frei, was wiederum Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Atherosklerose, Aortenklappenverengung und Herzschwäche verschlimmert. Zusätzlich verstärken die Zytokine auch die Bildung weiterer mutierter Blutzellen, was einen fatalen Kreislauf in Gang setzt.

Inzwischen vermuten die Forscher, dass die klonale Hämatopoese auch der Grund dafür ist, dass Patienten nach einer überstandenen Krebserkrankung häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickeln. Denn nach erfolgreicher Leukämie-Therapie bleiben in den meisten Fällen mutierte Stammzellen zurück. Deshalb gewinnt die kardiologische Überwachung ehemaliger Krebspatienten zunehmend an Bedeutung.

Momentan werden die mutierten Blutzell-Klone nur als Begleitbefund bei Patienten mit Bluterkrankungen festgestellt. Denn mit der zu ihrer Feststellung notwendigen DNA-Sequenzierung ist ein großer Aufwand verbunden. „Der Test ist zur Früherkennung von Blutkrebs und für die Prognose von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch erst dann sinnvoll, wenn vorbeugende Maßnahmen klinisch etabliert sind“, gibt Prof. Andreas Zeiher, Direktor der Kardiologie am Universitätsklinikum, zu bedenken. Derzeit suchen die Forscher intensiv nach klinischen Parametern, die auf klonale Hämatopoese hindeuten.

Eines ist bereits jetzt klar: die klonale Hämatopoese ist als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ebenso bedeutend wie Rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck. So wundert es nicht, dass die Forschung auf diesem Gebiet derzeit intensiv betrieben wird und die Erkenntnisse rasch zunehmen. Im Exzellenzcluster Cardio-Pulmonary Institute, an dem die Goethe-Universität, die Universität Gießen und das Max Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim beteiligt sind, wird als eine der nächsten Fragen untersucht, ob die klonale Hämatopoese auch zu chronisch-entzündlichen Lungenerkrankungen beiträgt.

Die aktuelle Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ (2/2019) kann von Journalisten kostenlos bestellt werden bei: ott@pvw.uni-frankfurt.de.

Im Web: www.forschung-frankfurt.de.

Informationen: Prof. Dr. Michael Rieger, Medizinische Klinik II, Campus Niederrad, Tel.: 069: 6301-84297, Email: m.rieger@em.uni-frankfurt.de