Wissenschaftler:innen von Goethe-Universität, Robert-Koch-Institut und Georg-August-Universität Göttingen entdecken Dauerschlaf-Zustand bei gefährlichen Bakterien
Ein Forschungsteam um Beate Averhoff und Volker Müller von der Goethe-Universität Frankfurt hat einen fundamentalen Mechanismus entdeckt, der dem gefürchteten Krankenhauskeim Acinetobacter baumannii beim Überleben hilft. Dieser Mechanismus macht deutlich, warum der Keim in Krankenhäusern schwer auszurotten ist und Infektionen in Patienten immer wieder aufflammen: Wenn die Lebensbedingungen für die Bakterien zu ungünstig werden, fallen sie in eine Art Dornröschenschlaf. Dann können sie mit gängigen diagnostischen Standards nicht mehr entdeckt und auch nicht mehr abgetötet werden. Aus diesem „tiefen Schlaf“ erwachen sie, wenn sich die Lebensbedingungen wieder besser werden.
FRANKFURT. Das
Bakterium Acinetobacter baumannii ist ein äußerst gefährlicher Erreger
im Krankenhaus: Viele der Bakterienstämme sind gegen Antibiotika aus
unterschiedlichen Stoffklassen resistent. Infektionen mit Acinetobacter
baumannii wurden erst während des Irak-Krieges vermehrt beobachtet und
nehmen seitdem mit rasantem Tempo weltweit zu. Daher hat die
Weltgesundheitsorganisation WHO Acinetobacter baumannii auf Platz eins
der Liste der Bakterien gesetzt, gegen die dringend neue Medikamente benötigt
werden. Die gefährliche Verbreitung von Acinetobacter baumannii geht
aber nicht nur die Antibiotikaresistenzen zurück, sondern auch auf seine enorme
Anpassungsfähigkeit: Er wächst auch unter harschen Bedingungen wie Trocken- und
Salzstress und kann daher unterschiedliche Ökosysteme im Menschen besiedeln wie
Blase, Hautoberfläche und Lunge. Die molekulare Basis dieser
Anpassungsstrategien wird im Rahmen der Forschungsgruppe (FOR) 2251 der
Deutschen Forschungsgemeinschaft, dessen Sprecher Prof. Volker Müller von der
Goethe Universität ist, seit 2017 untersucht.
Nun hat das Wissenschaftsteam um die beiden
FOR2251-Teilprojektleiter Prof. Beate Averhoff und Prof. Volker Müller einen
zuvor bei Acinetobacter unbekannten Mechanismus der Anpassung entdeckt.
Viele Bakterien gehen bei unwirtlichen Lebensbedingungen in einen fast
todesähnlichen Ruhezustand über: Sie entwickeln Dauerformen ohne jegliche
Stoffwechselaktivität, so genannte Sporen.
Acinetobacter baumannii kann jedoch, so fand das
Wissenschaftsteam heraus, alternativ auch spezielle Zellen ausbilden, die sich
in einer Art Tiefschlaf befinden. Diese Zellen zeigen zwar noch Lebenszeichen
und atmen, lassen sich aber auf Nährböden in Petrischalen nicht mehr
kultivieren. „Dieser Zustand ist beispielsweise von Cholerabakterien bekannt
und wird viable but non-culturable (VBNC) genannt“, erklärt Müller. In
diesem Zustand können die Bakterien lange überdauern, berichtet Patricia König,
die Erstautorin der Studie, die jetzt in der renommierten Zeitschrift mBio
publiziert wurde: „Wir halten die Bakterien mittlerweile seit elf Monaten im
VBNC-Tiefschlaf und überprüfen immer wieder, ob wir sie noch aufwecken können.
Die Untersuchung läuft noch und ein Ende ist noch nicht in Sicht.“
Auslösen konnten die Wissenschaftler:innen den VBNC-Zustand der Acinetobacter-Bakterien
durch einen hohen Salzgehalt des Kulturmediums, daneben aber auch –
zeitverzögert – durch Kühlschrank- (4 Grad Celsius) und Fiebertemperaturen (42
Grad Celsius), durch Austrocknung und durch Sauerstoffmangel. In allen Fällen
gelang es, die Bakterien nach einer zweitägigen „Kur“ im Bakterienschüttler
unter optimalen Nähr- und Sauerstoffversorgung wieder „aufzuwecken“.
Das Problem: In der Medizin wie auch in der
Lebensmittelüberwachung ist der Nachweis von Bakterien durch Kultivierung auf
Nährböden immer noch der Goldstandard. Beate Averhoff erläutert: „Man stelle
sich Folgendes vor: Ein Patient mit einer Acinetobacter-baumannii-Infektion
bekommt eine Antibiotika-Behandlung, und nach sieben Tagen wachsen auf den
Kulturschalen keine Acinetobacter-Bakterien mehr. Arzt und Patient gehen
davon aus, dass das Bakterium verschwunden ist, aber in Wirklichkeit schläft es
nur in Nischen des Körpers und wartet darauf, bei nächster, besserer
Gelegenheit wieder aufzuwachen, sich zu vermehren und erneut Symptome im
Patienten hervorzurufen. Das ist insbesondere bei multiresistenten Bakterien
äußerst gefährlich.“
Patricia König meint: „Wir hoffen damit beitragen zu können,
wirksamere Behandlungskonzepte gegen Acinetobacter baumannii entwickeln
zu können. Vor allen Dingen müssen neben der Kulturschalen auch sensitivere
Verfahren wie zum Beispiel PCR zum Nachweis von Acinetobacter baumannii
eingesetzt werden, mit denen man auch VBNC-Zellen entdecken kann.“
Therapeutisch könnten neue Ansatzpunkte in den Proteinen liegen,
die beim Übergang in den Dornröschenschlaf eine wichtige Rolle zu spielen
scheinen. Eine Reihe solcher Proteine konnte das Wissenschaftsteam bereits
identifizieren. König sagt: „Die Rolle dieser Proteine müssen wir verstehen
lernen. Auf dieser Basis können sich dann Hemmstoffe dagegen entwickeln lassen,
die man zusammen mit Antibiotika verabreichen kann, um den gefährlichen
Dornröschenschlaf der Bakterien zu verhindern.“
Publikation: Patricia König,
Alexander Wilhelm, Christoph Schaudinn, Anja Poehlein, Rolf Daniel, Marek
Widera, Beate Averhoff, Volker Müller. The
VBNC state: a fundamental survival strategy for Acinetobacter baumannii.
mBio (2023) https://doi.org/10.1128/mbio.02139-23.
Bild zum Download:
https://www.uni-frankfurt.de/143827470
Bildtext: Bei Stress durch hohe Salzkonzentrationen sterben nach einigen
Tagen zwar eine Reihe der kultivierten Acinetobacter baumannii-Bakterien
ab (orange Punkte), viele leben jedoch in einer Art Tiefschlaf (VNBC, grüne
Punkte) weiter. Foto: Volker Müller, Goethe-Universität Frankfurt
Weitere Informationen
Abteilung Molekulare Mikrobiologie & Bioenergetik
Institut für Molekulare Biowissenschaften
Goethe-Universität Frankfurt
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Prof. Beate Averhoff
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Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de