Internationales Forschungsteam untersucht photoelektrischen Effekt mithilfe eines COLTRIMS-Reaktionsmikroskops
Wenn Licht auf Material fällt, können daraus Elektronen freigesetzt werden – der photoelektrische Effekt. Auch wenn dieser Effekt bereits bei der Entwicklung der Quantentheorie eine wichtige Rolle spielte, birgt er immer noch einige Geheimnisse: Bislang war nicht klar, wie schnell diese Freisetzung in Molekülen vonstattengeht. Jonas Rist, Doktorand in einem internationalen Forschungsteam am Institut für Kernphysik der Goethe-Universität Frankfurt, konnte dieses Rätsel mithilfe eines sogenannten COLTRIMS-Reaktionsmikroskops – einer Frankfurter Entwicklung – nun lösen: Sie geschieht rasend schnell innerhalb weniger Attosekunden, also milliardstel milliardstel Sekunden.
FRANKFURT. Vor genau hundert Jahren erhielt Albert
Einstein den Nobelpreis für Physik für seine Arbeiten zum photoelektrischen
Effekt. Seine revolutionäre Relativitätstheorie hatte die Jury noch nicht
richtig verstanden – doch auch beim photoelektrischen Effekt hatte Einstein
Bahnbrechendes geleistet. Mit seiner Analyse konnte er nachweisen, dass
Lichtstrahlung aus einzelnen Energiepaketen – sogenannten Photonen – besteht.
Dies war eine entscheidende Bestätigung für Max Plancks Hypothese, dass Licht
aus Quanten besteht, und ebnete der modernen Quantentheorie den Weg.
Obwohl der photoelektrische Effekt in Molekülen mittlerweile gut
untersucht ist, war es bislang aber nicht möglich, seine zeitliche Entwicklung
experimentell zu bestimmen. Wie lange dauert es, nachdem ein Lichtquant ein
Molekül getroffen hat, bis schließlich ein Elektron unter einer bestimmten
Richtung herausfliegt? „Der Zeitabstand zwischen Photonenabsorption und
Elektronenemission ist sehr schwer zu messen, weil er nur wenige Attosekunden
kurz ist“, erklärt Prof. Till Jahnke, der Betreuer von Jonas Rist. Das
entspricht nur wenigen Lichtschwingungen. „Es ist bislang unmöglich gewesen,
diese Dauer direkt zu messen, weshalb wir sie nun indirekt bestimmt haben.“
Dazu haben die Wissenschaftler ein COLTRIMS-Reaktionsmikroskop genutzt – eine
Messapparatur, mit der einzelne Atome und Moleküle in ungeheurem Detailgrad
untersucht werden können.
Die Forscher schossen hochintensives Röntgenlicht – erzeugt an der
Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II des Helmholtz-Zentrums Berlin – auf eine
Probe aus Kohlenmonoxid im Zentrum des Reaktionsmikroskops. Das
Kohlenmonoxid-Molekül besteht aus einem Sauerstoff- und einem Kohlenstoffatom.
Der Röntgenstrahl besaß nun genau die passende Energie, um eines der Elektronen
aus der innersten Elektronenschale des Kohlenstoffatoms herauszuschlagen.
Dadurch bricht das Molekül auf. Das Sauerstoff- und Kohlenstoffion sowie das
freigesetzte Elektron wurden dann vermessen.
„Nun kommt uns die Quantenphysik zu Hilfe“, erläutert Rist. „Die
Emission der Elektronen geschieht nämlich nicht symmetrisch in alle
Richtungen.“ Da Kohlenmonoxid-Moleküle eine ausgezeichnete Achse besitzen,
werden die herausgeschossenen Elektronen, solange sie sich noch in der
unmittelbaren Nähe des Moleküls befinden, von dessen elektromagnetischen
Feldern angezogen. Das verzögert die Freisetzung ein klein wenig – und zwar
unterschiedlich stark, je nachdem in welcher Richtung das Elektron
herausgeschleudert wird.
Da Elektronen nach den Gesetzen der Quantenphysik nicht nur
Teilchen-, sondern auch Wellencharakter besitzen, sorgt diese Verzögerung
dafür, dass die Wellentäler und Wellenberge der Elektronen ein
Interferenzmuster auf dem Detektor zeichnen. „Anhand dieser Interferenzeffekte,
die wir mit dem Reaktionsmikroskop messen konnten, ließ sich die
Verzögerungsdauer indirekt mit hoher Genauigkeit bestimmen, auch wenn die
Zeitdauer unglaublich kurz ist“, so Rist. „Dazu mussten wir allerdings alle
quantenphysikalischen Tricks ausnutzen.“
Die Messungen zeigten einerseits, dass es in der Tat nur einige
Dutzend Attosekunden dauert, das Elektron zu emittieren. Andererseits
offenbarten sie, dass diese Zeitdauer sehr stark davon abhängt, unter welcher
Richtung das Elektron das Molekül verlässt, und dass die Zeitdauer außerdem
auch stark von der Geschwindigkeit des Elektrons abhängt.
Diese Messungen sind nicht nur für die physikalische
Grundlagenforschung interessant. Die Modelle, mit denen man diese Art von
Elektronendynamik beschreibt, sind auch für viele chemische Prozesse relevant,
bei denen Elektronen nicht nach außen freigesetzt werden, sondern etwa zu
benachbarten Molekülen übertragen werden und dort weitere Reaktionen auslösen.
„In Zukunft könnten solche Experimente deshalb auch helfen, chemische
Reaktionsdynamiken besser zu verstehen“, sagt Jahnke.
Publikation: Jonas Rist, Kim Klyssek,
Nikolay M. Novikovskiy, Max Kircher, Isabel Vela-Pérez, Daniel Trabert, Sven
Grundmann, Dimitrios Tsitsonis, Juliane Siebert, Angelina Geyer, Niklas Melzer,
Christian Schwarz, Nils Anders, Leon Kaiser, Kilian Fehre, Alexander Hartung,
Sebastian Eckart, Lothar Ph. H. Schmidt,1 Markus S. Schöffler, Vernon T. Davis,
Joshua B. Williams, Florian Trinter, Reinhard Dörner,1 Philipp V. Demekhin,
Till Jahnke: Measuring the photoelectron
emission delay in the molecular frame. Nat Commun 12, 6657 (2021). https://doi.org/10.1038/s41467-021-26994-2
Bilder zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/112731392
Bildtext
COLTRIMS_atBESSYii_PhotoMiriamKeller.jpg:
Viel
Technik: Das COLTRIMS-Reaktionsmikroskop am Elektronenspeicherring BESSY II,
Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie. Foto: Miriam Weller, Goethe-Universität Frankfurt
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Doktorand
Jonas Rist von der Goethe-Universität Frankfurt. Foto: Alexander Hartung,
Goethe-Universität Frankfurt