Neue Studie des DIPF und der Goethe-Universität zeigt auch höhere Abbruch-Intentionen
Eine neue Studie des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation sowie der Goethe-Universität Frankfurt zeigt, dass Student*innen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu ihren weiteren Mitstudierenden ein geringeres Zugehörigkeitsgefühl zum Lehramtsstudium aufweisen. Zugleich neigen sie eher dazu, das Studium abzubrechen. Die jetzt veröffentlichte Untersuchung gibt auch Hinweise darauf, dass es zwischen dem mangelnden Zugehörigkeitsgefühl und der Entscheidung, das Studium vorzeitig zu beenden, einen Zusammenhang geben könnte – neben weiteren Einflussfaktoren.
FRANKFURT. Mehrere Aspekte unterstreichen die
Relevanz der Ergebnisse: In Deutschland besteht ein hoher Bedarf an
Lehrkräften. Daher ist es generell wichtig, mehr darüber zu erfahren, was zum
Abbruch dieses Studiums führen könnte. Außerdem sind Studierende mit
Migrationshintergrund im Lehramtsstudium unterrepräsentiert. Dabei sind
Lehrkräfte mit Migrationshintergrund aus verschiedenen Gründen gesucht: Ihre
interkulturelle Kompetenz kann beim Unterrichten einer vielfältigen
Schüler*innenschaft helfen. Zudem können sie den Kindern und Jugendlichen als
Rollenvorbilder dienen. „Nicht zuletzt ist es eine Frage der
Bildungsgerechtigkeit, dass alle Studierenden unabhängig von ihrer Herkunft die
gleichen Chancen haben, das Studium erfolgreich zu beenden“, betont Dr. Kristin
Wolf vom DIPF. Sie ist die Erstautorin des Fachartikels in der Zeitschrift für
Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, in dem die Studie
vorgestellt wird.
Stichprobe
und Untersuchungsmethodik
Dr. Wolf
hat die Fragen des Zugehörigkeitsgefühls und der Abbruch-Intentionen gemeinsam
mit weiteren Forschenden anhand einer Stichprobe von 925 Lehramtsstudierenden
untersucht. Die Erhebungen erstreckten sich über zwei Messzeitpunkte innerhalb
von etwa sechs Monaten Die Studienteilnehmer*innen besuchten vier verschiedene
Universitäten, in unterschiedlichen Semestern sowie mit verschiedenen
fachlichen Schwerpunkten (zum Beispiel Deutsch oder Biologie) und schulischen
Spezialisierungen (zum Beispiel Grundschule oder Gymnasium). 28,5 Prozent der
Stichprobe hatten einen Migrationshintergrund, was heißt, dass die
Student*innen selbst oder mindestens ein Elternteil im Ausland geboren waren.
Das Zugehörigkeitsgefühl und die Abbruch-Intentionen erhoben die Wissenschaftler*innen
mit standardisierten Fragebögen. Anhand der Ergebnisse konnte man die Stärke
beider Variablen auf einer Skala von eins bis sechs einordnen.
Im Ergebnis
wurde deutlich, dass die Studierenden mit Migrationshintergrund ein geringeres
Zugehörigkeitsgefühl und höhere Abbruch-Intentionen aufwiesen. Anschließend
analysierten die Forschenden die Zusammenhänge zwischen den beiden Befunden mit
statistischen Strukturgleichungsmodellen. Dabei rechneten sie verschiedene
weitere Variablen, die ebenfalls Einfluss auf das Zugehörigkeitsgefühl und die
Abbruch-Intentionen nehmen können, soweit es geht heraus. Dazu gehören zum
Beispiel der Bildungshintergrund der Eltern, die Abiturnoten, das Geschlecht,
der im Studium gewählte Schulzweig, der Universitätsstandort und der fachliche
Schwerpunkt. So konnte das Forschungsteam einen individuellen – wenn auch
kleinen – Effekt des Zugehörigkeitsgefühls auf die Abbruch-Intentionen der
Studierenden mit Migrationshintergrund belegen. Über seine Bedeutung im
Vergleich zu den weiteren Faktoren sind anhand des Studiendesigns keine
konkreten Aussagen möglich.
Implikationen
In der
Forschung waren Zugehörigkeitsgefühl und Abbruch-Intentionen von
Lehramtsstudierenden bislang wenig untersucht worden. Die vorliegende Studie
liefert hierzu nun vertiefende Befunde und zeigt zugleich den Bedarf für
weitere Untersuchungen auf. Längere Studien mit mehr Messzeitpunkten und
weiteren Messwerkzeugen, die sich nicht allein auf die selbst berichteten
Erfahrungen der Studierenden stützen, wären wünschenswert. So ließen sich
Aussagen über die Zusammenhänge eventuell erhärten. Für Kristin Wolf bietet
allerdings schon die aktuelle Studie Anlass für erste Hinweise an die
Hochschullehre: „Es ist deutlich geworden, dass es sich lohnen könnte, neben den
fachlichen Kompetenzen der Studierenden auch das Zugehörigkeitsgefühl zu
fördern.“ Aus der Forschung wisse man, so die Wissenschaftlerin des DIPF, dass
Gruppenarbeit hierfür ein sinnvolles Instrument sein könne. Auch seien gerade
zu Beginn des Studiums außeruniversitäre Veranstaltungen von Nutzen, um sich
kennenzulernen und ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln.
Veröffentlichung:
Wolf, K.,
Maurer, C. & Kunter, M. (2021). „I Don't Really Belong Here":
Examining Sense of Belonging in Immigrant and Nonimmigrant Teacher Students. Zeitschrift für
Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 53 (1-2), 1-14.
doi:10.1026/0049-8637/a000233
Datenbasis:
Die
untersuchten Daten stammen aus dem an der Goethe-Universität Frankfurt
koordinierten Forschungsprogramm „Bildungswissenschaftliches Wissen und der
Erwerb professioneller Kompetenz in der Lehramtsausbildung (BilWiss)“. Das vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Programm wurde gemeinsam
mit weiteren Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen realisiert und
2019 abgeschlossen. Es ist geplant, langfristig angelegte Studien aus dem
Projekt am DIPF fortzuführen und den Aufbau der Arbeiten sowie die bislang
vorliegenden Ergebnisse auf einer eigenen Website zu dokumentieren.
Kontakt
Fachliche Ansprechpartnerin:
Dr. Kristin Wolf, +49 (0)69 24708-218, Wolf.Kristin@dipf.de