Dez 20 2007

Wissenschaftler des Instituts für Sozialforschung untersuchen den Wandel des Leistungsbegriffs

Zwischen Selbstentfaltung und ökonomischem Kalkül

FRANKFURT. Teamfähige, kreative, eigenverantwortliche Mitarbeiter, denen Leistung Spaß macht, sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Selbstverwirklichung im Beruf, einst als wirklichkeitsfremde Utopie belächelt, ist heute offizielle Doktrin. Gleichzeitig werden jedoch Leistungen immer mehr nach Output und ökonomischen Erfolgskriterien bewertet. Tatsächlich sind es häufig dieselben Prozesse, die auf der einen Seite ein Mehr an Befriedigung und Erfüllung in der Arbeit versprechen, bei denen jedoch auf der anderen Seite neue Formen der (Selbst-)Ausbeutung entstehen. Wissenschaftler des Instituts für Sozialforschung haben diese Entwicklungen in den letzten fünf Jahren breit untersucht. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Projekt „’Leistung’ in der Marktgesellschaft - Erosion eines Deutungsmusters?“ wurde unter Leitung von Prof. Dr. Sighard Neckel (Frankfurt/Wien) von Kai Dröge M.A. und Dr. Irene Somm im Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt durchgeführt.
In den neuen Idealen einer „subjektivierten Arbeitswelt“, wo sich jeder mit seiner Individualität selbstgesteuert einbringen soll, hat der Spaß an der Arbeit einen hohen Wert. Trotzdem werden Mühe und Anstrengung keineswegs tabuisiert: Übervolle Terminkalender, extreme Ausweitung der Arbeitszeit und das ständig klingende Mobiltelefon sind moderne Symbole und Rituale, in denen die individuelle Verausgabung sozial sichtbar gemacht wird. Doch wenn es um die Beurteilung der Leistung geht, steht nicht der Aufwand, sondern das Resultat im Vordergrund. Zielvereinbarungen und ähnliche Formen der indirekten Steuerung orientieren sich an der Ergebnisverantwortung des jeweiligen Mitarbeiters oder Teams. Aus der Sicht des Unternehmens ist es letztlich irrelevant, wie viel Zeit, Mühe und Aufwand der Einzelne investiert. Unerwartet auftretende Probleme müssen durch eigene Mehrarbeit kompensiert werden.
Verschärft wird dieser Trend dadurch, das marktbezogene Kriterien für die Leistungsbewertung immer wichtiger werden - und dies auch in solchen Unternehmensbereichen, die nicht unmittelbar mit Verkauf und Marketing zu tun haben. Viele neue Steuerungs- und Managementkonzepte setzen darauf, den Markt in die Organisation hinein zu holen: Abteilungen werden in Cost- oder Profitcenter umgewandelt, die untereinander und zum Teil auch mit externen Anbietern konkurrieren; rendite- oder umsatzorientierte Prämiensysteme koppeln die Entlohnung der Mitarbeiter direkt an den ökonomischen Erfolg des Gesamtunternehmens. Heutige Beschäftigte sollen sich nicht primär als Arbeitnehmer, sondern als »interne Unternehmer« begreifen, die ihr Leistungshandeln unmittelbar auf den Markterfolg ausrichten.
Bei den Interviews, die im Rahmen des Forschungsprojektes geführt wurden, stießen die Frankfurter Wissenschaftler häufig auf Widersprüche zwischen Selbstentfaltung und ökonomischem Kalkül: Personen scheitern in ihrem Wunsch, sich beruflich selbst zu verwirklichen, an den Flexibilitätsanforderungen heutiger Arbeitsmärkte. Doch die Forscher erkennen in diesen zunächst widersprüchlichen Tendenzen einen inneren Zusammenhang: »Weiche« Faktoren machen die Leistungsdefinitionen noch diffuser, als sie immer schon waren. Demgegenüber sind Umsatzstatistiken, Kostenrechnungen und Renditemaßzahlen von einem Nimbus der Objektivität umgeben. Mit der Subjektivierung der Leistungsdefinitionen wächst das Bedürfnis nach objektiver Messbarkeit und Vergleichbarkeit - und zwar ganz offensichtlich sowohl auf der Seite der Unternehmensleitung als auch bei den Beschäftigten. Diesem Bedürfnis trägt inzwischen eine ganze Armada von Consultingfirmen, Controllern und Softwarespezialisten Rechnung, die einzig damit befasst ist, das betriebliche Geschehen bis in die letzten Winkel quantifizierend zu erfassen. Komplexe Kennziffernsysteme werden entworfen, Betriebsabläufe von der Lagerhaltung bis zu den Kundenretouren in Computermodellen nachgebildet und das interne Controlling massiv ausgebaut. Der enorme Aufwand, mit dem diese kalkulatorische Durchdringung organisatorischer Abläufe betrieben wird, weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass die scheinbar objektive Realität der Zahlen immer auch eine sozial konstruierte ist.

Soeben erschienen: Wissenschaftsmagazin Forschung Frankfurt 3/2007 Schwerpunktthema »Mensch und Arbeit«

Kostenlos anfordern: steier@pvw.uni-frankfurt.de

Im Internet: www.muk.uni-frankfurt.de Publikationen/FFFM/2007/index.html

Nähere Informationen: Kai Dröge M.A., Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Telefon: 069/75 61 83 -44, E-Mail: K.Droege@em.uni-frankfurt.de

Mit Auswirkungen dieser Entwicklung beschäftigt sich ein weiterer Beitrag in Forschung Frankfurt 3/2007:

Dr. Hermann Kocyba/ Dr. habil. Stephan Voswinkel: Störfaktor Krankheit - Warum der rückläufige Krankenstand das falsche Signal für betriebliche Gesundheitspolitik ist