Mai 29 2009

Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien an Erziehungswissenschaftler

Wo anders leben? – Migration, Männlichkeit und Sexualität

FRANKFURT. Den Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2009 erhielt in dieser Woche der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Dr. Marc Thielen, damit wurde seine Studie über den Zusammenhang von Fluchtmigration und Sexualität ausgezeichnet. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis wurde vom „Forum Interkulturelles Leben und Lernen e.V.“ gemeinsam mit der Stadt und Universität Augsburg verliehen.

Thielens Dissertation trägt den Titel “Wo anders leben? – Migration, Männlichkeit und Sexualität in biografischen Erzählungen iranischer Männer in Deutschland", seine Promotion schloss er im Sommer 2008 mit „summa cum laude" am Fachbereich Erziehungswissenschaften ab. „Mit der Thematik hat der Hauptpreisträger ein vermeintliches Randthema aufgegriffen und gleichzeitig eine offensichtliche Forschungslücke sowohl in der Geschlechterforschung (gender studies) als auch im Bereich der interkulturellen Studien geschlossen. In dem sich aktuell formierenden Feld der kritischen Männerforschung lenkt er den Blick auf die Effekte sexueller Orientierung von Flüchtlingen und ihre Wirkung im Asylverfahren ohne eine vereinfachend kulturalisierende und ethnisierende Perspektive einzunehmen“, erklärte Jury-Vorsitzender Prof. Eckhard Nagel, Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften und der Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie der Universität Bayreuth.

Die empirische Basis der Arbeit bilden dreizehn autobiografisch-narrative Interviews mit Männern, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung aus dem Iran flüchten mussten. Der bisher wenig diskutierte Zusammenhang von Fluchtmigration und Sexualität wird in einer dichten Beschreibung von Lebenswelten und Lebensweisen von Flüchtlingen dargestellt, die im Gegensatz zum Fokus bisheriger Studien nicht aus bildungsfernen und sozial randständigen Milieus kommen, sondern fast ausnahmslos mittelständischen, ökonomisch gut situierten Familien entstammen. Seit Ende der 1980er Jahre wird gleichgeschlechtliche Orientierung in der deutschen Asylrechtspraxis als Fluchtmotiv grundsätzlich anerkannt. In respektvollem und unprätentiösem Ton beschreibt Thielen, wie das Asylverfahren ein „Coming Out" erzwingt. Um das Asylanliegen zu legitimieren, entfaltet sich eine erneute repressive Situation. Die Befunde verweisen damit interessanter Weise auf eine Verschiebung der Diskriminierung vom Herkunfts- zum Aufnahmeland und stellen zugleich gängige Stereotype zur Männerrolle in islamischen Gesellschaften in Frage.

Der Verfasser spricht an keiner Stelle von „defizitären Sprachkenntnissen" seiner Interviewpartner, sondern von „Sprachdifferenz", was eine Voraussetzung nicht nur für eine vorurteilsfreie Forschung sondern auch für einen interkulturellen Zugang ist. Zur Reformierung der Wissenschaftssprache gehört auch, dass keine binäre Aufteilung zwischen „tolerantem Westen" und „repressivem Orient" entsteht.

Thielen wurde 1976 in Saarbrücken geboren und besuchte dort auch das Gymnasium. Er studierte zunächst an der Katholischen Hochschule für Soziale Arbeit und erwarb dort das Diplom zum Sozialarbeiter/Sozialpädagogen. Diesem Abschluss hängte er umgehend ein Studium der Erziehungswissenschaften in der Heil- und Sonderpädagogik an der Goethe-Universität an, welches er drei Jahre später als Diplompädagoge beendete. Seither ist er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sonderpädagogik in der Fachrichtung Lernhilfe tätig.

Informationen Dr. Marc Thielen, Institut für Sonderpädagogik, Campus Bockenheim, Telefon (069) 798-22093, M.Thielen@em.uni-frankfurt.de