Nov 18 2005

Zur Kultur und Politik naturwissenschaftlicher Forschung im 20. Jahrhundert / Stiftungsgastprofessur ‚Wissenschaft und Gesellschaft’

Wissenschaft im Zeitalter der Extreme

FRANKFURT. In einer Zeit, in der Historiker und Soziologen diskutieren, ob die Gesellschaften der Gegenwart am besten als Wissensgesellschaften verstanden werden sollten, gewinnt eine kompetente Analyse der Produktion wissenschaftlichen Wissens zunehmend an Bedeutung. Die wissenschaftshistorische Diskussion kann sich heute auf eine beeindruckende Vielfalt von detaillierten historischen Studien stützen, beispielsweise auf eine Reihe innovativer theoretischer Ansätze, die den vielfältigen Wegen nachgehen, wie wissenschaftliche Forschung in die moderne Kultur und Gesellschaft verwoben ist. Allmählich wird es damit auch möglich, die Konturen dessen nachzuzeichnen, was als 'Zeitgeschichte der Wissenschaften' schon halb vergangen und noch halb gegenwärtig ist.

Die dankenswerterweise seit vielen Jahren von der Deutschen Bank finanzierte Stiftungsgastprofessur "Wissenschaft und Gesellschaft" widmet sich in diesem Semester einem brisanten Thema der Wissenskultur des 20. Jahrhunderts: Was waren und sind die Funktionen und Möglichkeiten wissenschaftlicher, insbesondere naturwissenschaftlicher Forschung in jenem Jahrhundert gewaltiger sozialer und kultureller Umbrüche, das gerade vergangen ist?

Mit Blick auf den Stand der Diskussion und die Bedeutung großer, forschungsbasierter technologischer Systeme wird der Schwerpunkt der Reihe auf einer Diskussion der Naturwissen schaften liegen. Allerdings wird die Reihe diese Wissenschaften nicht im Stil traditioneller Disziplingeschichten behandeln. Vielmehr soll eine bewusste Betonung der kulturellen Einbettung der Wissenschaften einen zugleich breiteren und einheitlicheren Blick erlauben.

In der Tat besteht eine der folgenreichsten Interventionen, die viele Beiträge zum thematischen Feld der Reihe verbindet, in einer Betonung der Reziprozität der Beziehungen zwischen Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft. Wissenschaftliche Praxis findet nicht nur stets unter sozial und kulturell geprägten Bedingungen statt, sie erzeugt und erfordert auch spezifische Muster kulturellen und sozialen Handelns, durch die sie am gesellschaftlichen Handeln teilhat. Die Wissenschaften, die zu sozialen Systemen bedeutender Größe angewachsen sind, erzeugen ihre eigenen Kulturen und Politiken – Kulturen und Politiken, die zentral in die Signatur des 20. Jahrhunderts eingegangen sind - von der theoretischen Physik der Jahrhun dertwende über die Rüstungsforschung des zweiten Weltkriegs und die Molekulargenetik der Nachkriegszeit bis zur Finanzmathematik der Gegenwart.

Die Vortragsreihe wird auf Initiative des Netzwerks Wissenschaftsgeschichte der Universität unter Federführung von Prof. Moritz Epple, Historisches Seminar, Arbeitsgruppe Wissenschaftsgeschichte, in Zusammenarbeit mit dem Sonderforschungsbereich/FK 435 "Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel" durchgeführt.

Programm / Termine

23. November 2005
"Die Kunst der Exploration des Unbekannten: Ein Blick auf die Lebenswissenschaften im 20. Jahrhundert" Hans-Jörg Rheinberger, Max-Planck-Institut für Wissenschafts- geschichte, Berlin

7. Dezember 2005
"Science and Politics in the Philosophy of Science: Popper, Kuhn, and Polanyi" Mary Jo Nye, Oregon State University, Corvallis

21. Dezember 2005
"Performing Economics: How Option Theory has Shaped the Markets for Financial Derivatives" Donald MacKenzie, University of Edinburgh

18. Januar 2006
"Das Zeitalter der Experten? Wissenschaft und Politik in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts" Margit Szöllösi-Janze, Universität Köln

25. Januar 2006
"The Technosciences Between Markets, Social Worries and the Political: Which New Regime of Science Production and Regulation Today?" Dominique Pestre, Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, Paris

8. Februar 2006
"Contenders for Life at the Dawn of the 21st Century: Physics, Biology, and Engineering" Evelyn Fox Keller, Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, Mass.

• Mittwochs, 18 Uhr ct, Raum 1.811, Casino, IG Hochhaus, Campus Westend, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt

• Am jeweils folgenden Donnerstag findet um 10 Uhr ct eine Diskussionsveranstaltung mit den Vortragenden statt.

Die Räumlichkeiten hierfür werden unter web.uni-frankfurt.de/ Netzwerk_Wissenschaftsgeschichte/ gesondert angekündigt.

Kontakt: Prof. Dr. Moritz Epple Historisches Seminar; Grüneburg platz 1; 60323 Frankfurt; Tel.: 069/798-32413, 32415; 798-23677; Fax: 069/798-32417069-798 28022; E-Mail: Epple@em.uni-frankfurt.de

WEITERE INFORMATIONEN

A n k ü n d i g u n g Internationale Konferenz Modernism in the Sciences, ca. 1900-1940 Frankfurt, 22. bis 24. März 2006

Die Konferenz wird sich in sechs Sektionen - Physical Sciences, Mathematical Sciences, Life Sciences and Chemistry, Social Sciences, Humanities, Science/ Literature/ Art - mit den vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen den Neukonfigurationen wissenschaftlicher Forschung und modernistischen Tendenzen in der Kultur des frühen 20. Jahrhunderts beschäftigen.

Kontakt: delombre@em.uni-frankfurt.de, Tel. (069) 798 32415