Jul 20 2007

Basiswissen für den Artenschutz – gezieltere Bekämpfung von Parasiten

Wie viele Tierarten gibt es auf der Erde?

FRANKFURT. Häufig werden vom Aussterben bedrohte Arten nicht unter Naturschutz gestellt, weil sie einer anderen, weit verbreiteten Art sehr ähnlich sehen. Ein Paradebeispiel für äußerlich kaum unterscheidbare, so genannte kryptische Arten, sind der Fitislaubsänger und der Zilpzalp. Erst ihr unterschiedlicher Gesang macht deutlich, dass es sich um zwei verschiedene Arten handelt. Seit nahezu 300 Jahren beschäftigt Biologen die Frage, wie viele der kryptischen Arten es gibt, denn erst dann lässt sich abschätzen, wie viele Tier- und Pflanzenarten auf der Erde leben. Aber bisher war noch nicht einmal bekannt, ob kryptische Arten in bestimmten Tiergruppen oder Regionen der Erde häufiger anzutreffen sind als in anderen. Die Biologen Markus Pfenninger und Klaus Schwenk von der Universität Frankfurt haben darauf eine Antwort gefunden, die für den Artenschutz und die gezielte Bekämpfung von Parasiten von weitreichender Bedeutung ist. Ein medizinisches Problem stellen kryptische Arten dar, wenn es um die Bekämpfung von gefährlichen Parasiten und deren Überträgern geht. „Gleiches Aussehen bedeutet nicht, dass sie auf die gleiche Behandlung ansprechen“, erklärt Privatdozent Dr. Markus Pfenninger vom Institut für Ökologie, Evolution und Diversität an der Universität Frankfurt. Zwar kann man heute mit Hilfe molekulargenetischer Methoden herausfinden, ob äußerlich gleiche Tiere oder Pflanzen evolutionär verschieden sind. Aber wie häufig und wo kryptische Arten überhaupt auftreten, konnte man bisher nur vermuten. Beispielsweise glaubte man, sie kämen in den artenreichen Tropen häufiger vor als in der Antarktis. Auch wusste man nicht, ob es in bestimmten Tiergruppen wie den Insekten oder Schnecken mehr unerkannte Arten gibt als beispielsweise bei den Säugetieren.

Pfenninger und sein Kollege Privatdozent Dr. Klaus Schwenk haben diese Fragen in einer Studie geklärt, die am 19. Juli 2007 in dem Open Access Journal BMC Evolutionary Biology erscheint. Die Forscher durchkämmten systematisch biologische Literaturdatenbanken nach der Anzahl der wissenschaftlichen Artikel über kryptische Arten in verschiedenen Tiergruppen und Regionen der Erde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Tiergruppen gleich gut untersucht sind. So gibt es beispielsweise viel mehr wissenschaftliche Literatur über die uns nahe stehenden Säugetiere als über Spinnen, auch wenn es sehr viel mehr beschriebene Spinnenarten als Säugetiere gibt. „Die Ergebnisse waren erstaunlich“, sagt Pfenninger, „in praktisch jeder der untersuchten Tiergruppen ist der Anteil der kryptischen Arten proportional zur Anzahl der beschriebenen Arten. Das bedeutet: es gibt – relativ betrachtet - nicht mehr kryptische Krebstiere als Vögel.“ Auch in jeder der untersuchten geografischen Regionen ist der Anteil der kryptischen Arten proportional zur Anzahl der beschriebenen Arten. Nordamerika und Europa sind um ein Vielfaches besser untersucht als Afrika oder Südamerika, obwohl die beiden letztgenannten Kontinente viel mehr Arten beherbergen. Dieses systematische Ungleichgewicht haben die Forscher korrigiert, um verschiedene Regionen und Tiergruppen untereinander vergleichen zu können. Auch hier fanden sie heraus: Es gibt, relativ gesehen, nicht mehr äußerlich ununterscheidbare Tiere in Afrika als in der Antarktis.

„Unsere Resultate haben weit reichende Konsequenzen für Artenschutzbemühungen und weltweite taxonomische Initiativen, denn sie zeigen, dass in allen Tiergruppen und Regionen mit einem bestimmten Anteil an kryptischen Arten gerechnet werden muss“, erklärt Pfenninger, „und: nirgends muss bevorzugt danach gesucht werden.“ Andererseits bedeutet es für globale und regionale Biodiversitätsschätzungen, dass man nur einen, für alle Tiergruppen und Regionen identischen Korrekturfaktor benötigt, um schwer unterscheidbare Arten angemessen zu berücksichtigen. Damit lässt sich die Zahl der Tier- und Pflanzenarten auf unserem Planeten erstmals zuverlässig abschätzen.

Weitere Informationen:
PD Dr. Markus Pfenninger und PD Dr. Klaus Schwenk, Abteilung Ökologie & Evolution des Institutes für Ökologie, Evolution und Diversität, Siesmayerstr. 70, 60323 Frankfurt E-Mail: pfenninger@ bio.uni-frankfurt.de, Tel.: 069/798-24714
E-Mail: k.schwenk@ bio.uni-frankfurt.de, Tel: 069/798-24775