Jun 1 2007

Frankfurter Gebärdensprachler beim Wissenschaftssommer in Essen

»Ich sehe was, was Du nicht hörst«

ESSEN/FRANKFURT. Die Gebärdensprachforschung Frankfurt präsentiert sich vom 9. bis 15. Juni beim bundesweiten Wissenschaftssommer in Essen. Das Team um die Frankfurter Linguistin Prof. Helen Leuninger, die seit 1992 die Deutsche Gebärdensprache in Frankfurt erforscht und auch intensive Lehrprogramm entwickelt hat, wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Initiative »Wissenschaft im Dialog« mit einigen wenigen anderen geisteswissenschaftlichen Forschergruppen zur Teilnahme aufgefordert und eröffnet den Wissenschaftssommer in Essen mit dem Vortrag »Mit den Augen verstehen - mit den Händen sprechen«.

Während dieser Woche präsentieren die Frankfurter jeweils zwischen 10 und 19 Uhr auf ganz unterschiedliche Weise die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten zur Deutschen Gebärdensprache einer breiten Öffentlichkeit: Neben dem offiziellen Eröffnungsvortrag werden Workshops angeboten und mit Besuchern Gespräche am Informationsstand geführt. Schüler und interessierte Laien können im Ausstellungszelt »Jahrmarkt der Wissenschaften« selbst erproben, wie diese Sprache funktioniert und wie sie eingesetzt werden kann. Die Workshops »Ich sehe was, was Du nicht hörst« vermitteln Einblicke in die Welt der Gebärdensprache an nachvollziehbaren Beispielen. Diese Workshops, zu dem eine Anmeldung erforderlich ist, richten sich an Kinder zwischen acht und zehn Jahren und werden mit einer Urkunde dokumentiert. Zu dem Frankfurter Team gehören neben der Professorin die gehörlose Linguistin und Dozentin Daniela Happ, Eva Waleschkowski, die zurzeit im Graduierten-Kolleg »Satzarten - Variation und Interpretaion« promoviert, der Gebärdendolmetscher und Dozent Marc-Oliver Vorköper, die Dozentin für Gebärdensprache Andrea Kaiser, Magda Wojtecka als wissenschaftliche Hilfskraft und Heike Doussier, die die gesamte Projektarbeit zur Deutschen Gebärdensprache betreut.

Zur Gebärdensprache Die Gebärdensprachen sind natürliche Sprachen und ebenso leistungsfähig wie Lautsprachen. In Deutschland wurde die Deutsche Gebärdensprache in den Schulen für Hörgeschädigte 100 Jahre lang nicht verwendet oder unterrichtet. Dazu die Linguistin Prof. Helen Leuninger: »Das geschah mit der Absicht, gehörlose Menschen zum Oralisieren also zur Lautsprache zu bewegen. Dieser Ansatz erwies sich im Gegensatz zu bilingualen Erziehungsmodellen in anderen Ländern als nicht erfolgreich und verheerend für das Selbstverständnis der deutschen Gehörlosen.« Mit Beginn der 1980er Jahre setzte die Erforschung der Deutschen Gebärdensprache ein, was zum Umdenken und Anerkennen der Sprachminderheit entscheidend beitrug. Dabei konnten - nicht zuletzt seit 1992 in Frankfurt - signifikante wissenschaftliche Erkenntnisse zur Struktur sowie Leistungsfähigkeit zur Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache nachgewiesen werden. Aufgrund dieser Forschungsarbeiten wurde im Dezember 1998 in Hessen als erstem Bundesland die Deutsche Gebärdensprache per Entschließungsantrag anerkannt und in der Schule und im Beruf für gehörlose Menschen umgesetzt.

Es setzte eine Welle der Qualifizierung von Gebärdensprachdolmetschern ein, das Wahlpflichtfach in Deutscher Gebärdensprache wurde für gehörlose Schuler ab der fünften Klasse eingeführt und die Lehrerfortbildung etabliert. Die Forschungsgruppe um Prof. Helen Leuninger trug dazu bei, indem Qualitätsmerkmale aus der Forschung in die Praxis beispielsweise in die Staatlichen Prüfungen für Gebärdensprachdolmetscher Darmstadt einflossen. Es entstand ein weiterbildendes Studium zum Gebärdensprachdolmetscher, eine Dozentenausbildung für gehörlose Menschen, das Studium Kognitiven Linguistik mit dem Studienfach Gebärdensprache, Beiträge zu Lehrerfortbildung in Hessen, Intensivkurse zur Vorbereitung auf die Staatliche Prüfung zum Gebärdensprachdolmetscher, Begleitforschung in einem Bilingualen Schulprojekt und vieles mehr.

Zum Wissenschaftssommer Auch in diesem Jahr präsentiert der Wissenschaftssommer, der jeweils in anderen deutschen Städten stattfindet, Wissenschaft zum Anfassen. Besucher können sich vor Ort über neueste Forschungsergebnisse informieren und mit Wissenschaftlern ins Gespräch kommen. Thematisch orientiert sich der Wissenschaftssommer im Wissenschaftsjahr 2007 an dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgerufenen Motto »ABC der Menschheit« und stellt im Rahmen der Geisteswissenschaften das Thema Sprache in den Mittelpunkt. Sprache ist längst nicht nur verbale Artikulation. Eingeschlossen sind auch die »Sprachen« der Wissenschaft und der Künste, aber auch die Gebärdensprache. Herzstück des Wissenschaftssommers ist - wie in den vergangenen Jahren - der Jahrmarkt der Wissenschaften. Er schlägt 2007 seine Zelte auf dem Essener Kennedyplatz auf. Hinzu kommt ein umfangreiches Rahmenprogramm, das vom Puppentheater bis hin zu Podiumsdiskussion und Workshops reicht - und das Thema Sprache aus ganz verschiedenen Perspektiven betrachtet.

Nähere Informationen: Prof. Dr. Helen Leuninger und Heike Doussier, Fachbereich Neuere Philologien, Institut für Kognitive Linguistik, Telefon 069/798 32406, E-Mail: helen05@lingua.uni-frankfurt.de ; im Internet: www.uni-frankfurt.de/fb/fb10/KogLi/Lehrstuhl_Leuninger/index.html, www.wissenschaft-im-dialog.de/wss_detail.php4?ID=70 Anmeldung zu den Workshops in Essen: Telefon 0228-885-2443