Okt 28 2006

Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Rechtswis­senschaft für Prof. László Sólyom

Engagierter Einsatz für die Rechte des Citoyen

FRANKFURT. Der ungarische Staatspräsident Prof. Dr. Dr. h.c. László Sólyom wurde heute im Rahmen einer akademischen Feier mit der Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt ausgezeichnet. Anwesend waren , unter anderen, der ungarische Botschafter in Deutschland, Dr. Sándor Peisch, und der Hessische Justizminister, Jürgen Banzer.

Dekanin Prof. Regina Ogorek und Vizepräsident Prof. Ingwer Ebsen hatten in ihren Grußworten auf die Verbindung von László Sólyom mit der Universität hingewiesen. Der Jurist Sólyom war in den achtziger Jahren als Humboldtstipendiat wiederholt nach Frankfurt gekommen und hatte am Fachbereich Rechtswissenschaft nicht nur die Rechtsentwicklungen der westlichen Welt studiert und in seine Forschungen integriert. Hier hatte er Impulse bekommen, sich mit neuen Rechtsfeldern, insbesondere dem Daten- und Umweltschutz, neben seinem eigentlichen Interessensgebiet Persönlichkeitsrecht zu beschäftigen. In seinen späteren Tätigkeiten als Hochschullehrer und Präsident des Ungarischen Verfassungsgerichtes seien es immer auch die Erfahrungen der Frankfurter Zeit gewesen, die sein Denken und Handeln beeinflusst hätten.

„Während die Umwandlung des klassischen Zivilrechts auf dem Gebiet des Eigentumsrechts oder der Verträge mit allen ihren politischen Bezügen heute schon selbstverständlich ist, konnte die Theorie der Persönlichkeitsrechtsrechte keinen wirklichen inhaltlichen Zusammenhang zwischen der .... abstrakten ‚Person’, als Rechtssubjekt, und dem in den letzten hundert Jahren entwickelten und aufblühenden Persönlichkeitsrecht schaffen. Soll etwa die Hauptfigur ... der Welt des Zivilrechts .... auch im 20. Jahrhundert ihre Eigenschaft als Citoyen verleugnen? ..... bleibt diese ‚Person’ des Zivilrechts weiterhin ein aller menschlichen Eigenschaften entkleideter, ‚denaturierter’ Bourgeois?“.

Sätze, so Laudator Prof. Spiros Simitis, die es verdienen, wieder und wieder gelesen zu werden. Sie entstammen einer 1984 - also lange vor dem politischen Wandel - in Budapest veröffentlichten Studie und dokumentierten, dass der Geehrte auch in einem politischen Umfeld, das freiheitlichen Bürgerrechten feindlich gegenübergestanden habe, ihre zentrale Bedeutung für die Legitimität und Legalität von staatlicher Macht erkannte und außerdem den Mut hatte, dies mit der genügenden Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

László Sólyom habe, wie Simitis hervorhob, seine wissenschaft­liche Arbeit 1969 mit einer zivilistischen Dissertation begonnen, welche bereits, so der Laudator, einen für László Sólyoms künftiges Wirken überaus charakteristischen Aspekt erkennen lassen habe: die Bereitschaft nämlich, sich von der eigenen Rechtsordnung zu lösen und ihre Regelungen nur als mögliche Antworten zu verstehen, die mit Bezug auf ein konkretes Problem auch vor dem Hintergrund der Regelungsansätze anderer Rechtsordnungen überprüft werden müssten. Wie weitreichend die Konsequenzen eines solchen Ansatzes sein konnten, zeigte sich etwa an László Sólyoms 1980 veröffentlichten Studie über „Umweltschutz und Privatrecht“, deren gesellschaftspolitische Brisanz überaus kritische Reaktionen im politischen Raum ausgelöst habe. Diese Publikation habe am Beginn einer entschieden über den akademisch-wissenschaftlichen Bereich hinausreichenden Aktivität Sólyoms gestanden, die öffentliches Interesse mobilisieren und nachhaltige Korrekturen der staatlichen Politik bewirken sollte.

In Frankfurt habe er in den achtziger Jahren den Datenschutz „entdeckt“ und in der Forderung nach verbindlichen Vorgaben im Umgang mit personenbezogenen Angaben jenen Respekt vor dem Citoyen wiedergefunden, den er bei der Interpretation des Persönlichkeitsrechts angemahnt hatte. Nur: beim Datenschutz rückten die von ihm immer wieder angesprochenen „Bürgerrechte“ noch klarer in den Vordergrund und entsprechend verschärften sich die Konflikte. So konnte es nicht überraschen, dass László Sólyom sich nach ersten Vorzeichen der politischen Wende für eine möglichst rasche Verabschiedung eines Datenschutzgesetzes ausgesprochen habe. Dank der beharrlichen Anstrengungen Sólyoms verfügt Ungarn nun nicht nur über ein modernes Datenschutzrecht, sondern hat - als eines der ersten Länder überhaupt - das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausdrücklich als Grundrecht anerkannt.

László Sólyom, so Spiros Simitis weiter, habe dann zunächst als Verfassungsrichter und dann als Präsident des Verfassungsgerichts mit großer Folgerichtigkeit die in seinen wissenschaftlichen Publikationen formulierten Positionen aufgegriffen und weiterentwickelt. Gleichviel, ob der Datenschutz oder das „Recht auf eine gesunde Umwelt“ im Mittelpunkt stand: das Gericht sei unter seiner Leitung stets bestrebt gewesen, die Erfahrungen anderer Rechtsordnungen zu verwerten. Nicht zuletzt deshalb stellen Entscheidungen des ungarischen Verfassungsgerichts wichtige Elemente eines gesamteuropäischen Diskurses über gemeinsame Prämissen dar.

Das Fazit der Laudatio war deshalb eindeutig: Ganz gleich, wo man anknüpfe, bei den frühen oder den späten wissenschaftlichen Publikationen, den sich parallel dazu vollziehenden Aktivitäten im Daten- oder Umweltschutzbereich oder bei der richterlichen Tätigkeit: Motiv und Leitgedanke änderten sich nicht. Es seien der Respekt vor der Person des Einzelnen sowie die Forderung, seine Handlungs- und Lebenschancen zu garantieren. Diese Prämissen definierten László Sólyoms Verständnis von Recht, regten ihn wieder und wieder an, seine Struktur und seine Aufgaben zu überprüfen, bewahrten ihn davor, die gesellschaftlichen Determinanten rechtlicher Regelung zu verdrängen und ermutigten ihn, die Grundrechte des Einzelnen besonders, aber nicht nur unter den Bedingungen einer Diktatur unmissverständlich zu verteidigen. So habe man, schloss Prof. Simitis seine sehr persönlich gehaltene Laudatio, László Sólyom in den achtziger Jahren als Kollegen und Freund kennen- und schätzen gelernt und aus eben diesem Grund wolle man ihn mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde, und sei es auch nur kurz, nach Frankfurt zurückholen.

Die anschließende Podiumsdiskussion über die europäische Verfassung, an der neben dem frisch gekürten Ehrendoktor Prof. Lásló Sólyom der ehemalige Richter am deutschen Bundesverfassungsgericht Prof. Dieter Grimm sowie die Frankfurter Professoren Spiros Simitis und Reinhard Hofmann teilnahmen, bot den Gästen einen angesichts der aktuellen öffentlichen Diskussion um dieses Thema und der kontroversen Ansichten der Diskutanten lebhaften und interessanten Austausch.

Verleihung der Ehrendoktorwürde an Prof. László Sólyom

• Akademische Feier

• Kolloquium über die Europäische Verfassung

Referenten

  • Prof. Dieter Grimm
    Juristische Fakultät Humboldt-Universität zu Berlin
  • Prof. Rainer Hofmann
    Fachbereich Rechtswissenschaft Johann Wolfgang Goethe-Universität
  • Prof. Spiros Simitis
    Fachbereich Rechtswissenschaft Johann Wolfgang Goethe-Universität
  • Prof. László Sólyom
    Präsident der Republik Ungarn

László Sólyom: Zur Person


  • geboren am 3.1.1942 in Pécs
  • 1965: Juristischer Studienab­schluss an der Universität Pécs
  • 1966-69 Assistent an der Universität Jena; Promotion zum Dr. jur
  • 1969-75: Bibilothekar Parlamentsbibliothek
  • 1981 Habilitation
  • 1983-96 Professor an der Universität Budapest
  • 1989/90 Richter am Ungarischen Verfassungsgericht
  • 1990-98: Präsident des Ungarischen Verfassungs­gerichts
  • seit 1996 Professor an der Ka­tholischen Universität Budapest
  • 2005 Wahl zum Ungarischen Staatspräsidenten


Kontakt: Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Spiros Simitis; Forschungsstelle für Datenschutz; Fachbereich Rechtswissenschaft, Campus Bockenheim, Senckenberganlage 31; 60325 Frankfurt; Tel.: 069-798 22733; Telefax: 069-798 28165; E-Mail: simitis@jur.uni-frankfurt.de ; a.arendt@jur.uni-frankfurt.de