Aug 20 2008

Was bisher nur für höhere Säugetiere nachgewiesen war – Forschungsergebnis hat Konsequenzen für Verständnis der Evolution vom Bewusstsein

Auch Elstern können sich selbst erkennen

FRANKFURT. Elstern können sich im Spiegel selbst erkennen, das hat der Frankfurter Kognitionsforscher Prof. Dr. Helmut Prior gemeinsam mit seinen Bochumer Kollegen herausgefunden. Im Markierungstest, wie er häufig auch bei Kindern und Menschenaffen eingesetzt wird, reagierten die Elstern so, als sei das Spiegelbild ein Abbild ihrer selbst. Dieses Ergebnis hat mehrere wichtige Konsequenzen für unser Verständnis der Evolution von Intelligenz und Bewusstsein. In einer aktuellen, heute veröffentlichten Studie der Zeitschrift PLoS Biology, neben Nature und Science eines der angesehensten naturwissenschaftlichen Journals, die sich an ein breites Publikum wenden und als Open-Access-Journal verfügbar ist, berichten Helmut Prior sowie Ariane Schwarz und Prof. Dr. Dr. h.c. Onur Güntürkün von der Ruhr-Universität Bochum über die Ergebnisse ihrer aktuellen Elstern-Forschung.

Vögel und Säugetiere haben sich seit mindestens 300 Millionen Jahren getrennt entwickelt. Bisher konnte man die Spiegel-Selbsterkennung nur bei wenigen Menschenaffenarten wie Schimpansen und Orang-Utans gesichert nachweisen. Hinweise gab es auch für Delfine und Elefanten. Diese Ergebnisse führten zu der Annahme, dass komplexe Denkprozesse und Bewusstsein nur bei höheren Säugetieren entstanden sind. Der Nachweis des Selbsterkennens bei Elstern zeigt dagegen, dass diese Leistungen in der Evolution mehrfach und unabhängig voneinander entstanden sein müssen.

Der bei Menschenaffen und Menschen besonders groß entwickelte Neokortex wurde lange Zeit als unabdingbare Voraussetzung für komplexe Denkprozesse angesehen. Wie alle Vögel haben Elstern keinen Neokortex, sondern weisen eine vollständig andere Hirnorganisation auf. Somit zeigen die aktuellen Ergebnisse, dass sogar Selbsterkennen ohne Neokeortex und somit durch alternative Hirnstrukturen erzeugt werden kann. Die Forschungsarbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, die Versuche mit den Elstern fanden überwiegend im Labor der Bochumer Universität statt.

Aus der Studie ergeben sich wichtige Anschlussfragestellungen, nicht zuletzt zur Evolutionspsychologie des Selbsterkennens beim Menschen. Auch beim Menschen ist bislang nicht genau geklärt, wann sich das Selbsterkennen im Kindesalter entwickelt, in welchen Stufen dieses verläuft und welche Rahmenbedingungen in der Evolution entscheidend waren.

Helmut Prior hat in Biologie (Verhaltensforschung) promoviert und sich in der Psychologie habilitiert. Er hat bisher an den Universitäten Münster, Oxford, Düsseldorf, Bochum und Frankfurt geforscht und gelehrt. In vergleichenden Studien mit Mensch und Tier sind die Raumkognition und ihre neuronalen Grundlagen, die Evolution der Intelligenz, die genetischen Grundlagen von Lernen und Verhalten und die modulare Struktur komplexer kognitiver Leistungen seine Themenschwerpunkte. Helmut Prior ist Associate Fellow des Royal Institute of Navigation. Seit 2007 ist der 47-Jährige als außerplanmäßiger Professor am Institut für Psychologie der Goethe-Universität auf den Gebieten Neurosensorik, Kognitionsforschung tätig.

Informationen: Apl. Prof. Dr. Helmut Prior, Institut für Psychologie Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaften, Campus Bockenheim, Tel. (069) 798-22118, E-Mail: prior@psych.uni-frankfurt.de; Link zur Veröffentlichung: http://biology.plosjournals.org/perlserv/?request=get-toc&issn=1545-7885 (dort lassen sich auch Illustrationen herunterladen)