Aug 14 2009

Der US-Philosoph Michael A. Rosenthal lebt und arbeitet für zwei Monate am Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität

Wie dachten deutsche Juden über den ersten Weltkrieg?

BAD HOMBURG. Prof. Michael A. Rosenthal von der University of Washington in Seattle ist neuer Fellow am Forschungskolleg Humanwissenschaften in Bad Homburg. Der Philosoph arbeitet von Anfang August bis Ende September unter anderem an einem Projekt zu Fragen der jüdischen Identität und des Selbstverständnisses der Juden in Deutschland während des ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik. Rosenthal folgt einer Einladung des Frankfurter Exzellenzclusters ‚Die Herausbildung normativer Ordnungen’.

Am Forschungskolleg kooperiert er mit Prof. Thomas M. Schmidt, Religionsphilosoph an der Goethe-Universität, Angehöriger des Exzellenzclusters und ebenfalls Fellow am Forschungskolleg. Neben ihrer Tätigkeit in der Forschung leiten Rosenthal und Schmidt in den nächsten Wochen am Kolleg regelmäßige Kolloquien für Studierende und Promovenden der Universität. Dabei geht es um die Erörterung religiöser Begründungsansätze für politische und gesellschaftliche Normen. Michael Rosenthal wird an Veranstaltungen des Clusters in Frankfurt teilnehmen. Für Bad Homburg plant er einen öffentlichen Vortrag, der voraussichtlich Mitte September stattfinden wird.

Ein Arbeitsschwerpunkt Rosenthals liegt in der Philosophie des 17. Jahrhunderts. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für Baruch de Spinoza. Der jüdisch-niederländische Philosoph (1632-1677) dachte über viele Fragen nach, die auch heute eine Rolle spielen, darunter das Verhältnis von Religion und Politik in einem pluralistischen Umfeld. Michael Rosenthal: „Spinoza vertrat die Ansicht, dass der Staat die Religion zwar tolerieren, ihr anderseits aber auch Grenzen setzen sollte.“ Besonders in der Weimarer Republik gab es eine intensive Auseinandersetzung mit der politischen Philosophie Spinozas. Damals beschäftigten sich vor allem auch jüdische Intellektuelle, manche durchaus kritisch, mit dem Denken Spinozas. Bei Rosenthal erwuchs aus seinem Interesse für die Rezeption Spinozas und anderer Philosophen des 17. Jahrhundert die Idee zu einer umfangreichen Studie über jüdische politische Identität in Deutschland bis zum Beginn des zweiten Weltkriegs. Der Titel des geplanten Buches: ‚Sovereigns and Subjects: Philosophy, Politics and Jewish Identity in Germany’.

Am Forschungskolleg Humanwissenschaften arbeitet Rosenthal am dritten Kapitel. Zu den Themen in ‚The Bourgeois Patriot’ gehört die Haltung deutscher Juden zum ersten Weltkrieg und die Tatsache, dass viele jüdische Bürger die Kriegsanstrengungen aktiv unterstützen. „Es gab Gründe für oder gegen den Krieg, die auf jüdische und nicht-jüdische Deutsche gleichermaßen zutrafen“, sagt Michael Rosenthal. „Aber es gab auch einen spezifisch jüdischen Aspekt in diesen Diskussionen.“ So sei etwa die Teilnahme an dem Krieg eine Gelegenheit für die Juden gewesen, ihre Loyalität mit dem deutschen Reich unter Beweis zu stellen. Für Michael Rosenthal hat die Beschäftigung mit diesem Thema auch eine autobiographische Dimension: „Mein Großvater war deutscher Patriot und wurde im Krieg schwer verwundet. Später haben ihn die Nazis verfolgt.“

Auch unter Berücksichtigung von Spinoza werden sich Michael Rosenthal und sein Forschungspartner Thomas Schmidt am Forschungskolleg gemeinsam damit beschäftigen, wie philosophische Argumente für religiöse Toleranz für heutige Belange fruchtbar gemacht werden können, auf welche Weise Religion zur Ausbildung politischer Ansichten beiträgt und welchen Platz sie in einem liberalen Staat hat. Als Fellow am Kolleg behandelt Schmidt in diesem Sommer das Thema ‚Religion in der pluralistischen Öffentlichkeit. Zur religionsphilosophischen Kontroverse im Anschluss an John Rawls’ Politischen Liberalismus’. Diese Studie ist Teil eines Forschungsprojekts des Exzellenzclusters zur Herausbildung normativer Ordnungen. Thomas Schmidt: „Mein Forschungsinteresse liegt vor allem in der Frage, wie Prinzipien des Rechts und der Gerechtigkeit formuliert werden, die religiösen wie säkularen Bürgern gleichermaßen einleuchten können.“

Weitere Fellowaufenthalte in den nächsten Monaten werden ebenfalls so strukturiert sein, dass jeweils ein Angehöriger des Exzellenzclusters mit einem externen Forscher am Kolleg kooperiert. Beide Forschungspartner haben ihre eigenen, sich ergänzenden wissenschaftlichen Projekte. Die Gastwissenschaftler wohnen in der Regel, wie jetzt auch Michael Rosenthal, im Gästehaus auf dem Kolleggelände.

Information: Bernd Frye, Pressereferent Forschungskolleg Humanwissenschaften, 06172/13977-14, frye@forschungskolleg-humanwissenschaften.de

Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. Vor 94 Jahren von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn größten Universitäten Deutschlands. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungs­universität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht derzeit für rund 600 Millionen Euro der schönste Campus Deutschlands. Mit über 50 seit 2000 eingeworbenen Stiftungs- und Stiftungsgastprofes­suren nimmt die Goethe-Uni den deutschen Spitzenplatz ein. In drei Forschungsrankings des CHE in Folge und in der Exzellenzinitiative zeigt sich die Goethe-Universität als eine der forschungsstärksten Hochschulen.

Das Forschungskolleg Humanwissenschaften in Bad Homburg ist Teil der Goethe-Universität und verdeutlicht und konkretisiert ihr Ziel, die universitäre Forschung im Bereich der Humanwissenschaften konsequent voranzubringen. Es hat im Sommersemester 2009 seine Tätigkeit aufgenommen und kooperiert mit der Werner Reimers Stiftung. Am Kolleg forschen Experten aus aller Welt gemeinsam mit Wissenschaftlern aus der Region fachübergreifend zu gesellschaftlich relevanten Fragen. Themenstellungen und Projekte stehen in enger Verbindung mit Schwerpunkten der Universität. Impulse aus dem Forschungskolleg fließen wieder in die Lehre ein. Zu den Leitmotiven gehören Fragen der Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung. Die Öffentlichkeit wird im Rahmen von Vorträgen mit eingebunden, um das Kolleg als ein Forum des Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu etablieren.