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Studie der Goethe-Universität Frankfurt identifiziert einen Mechanismus, der sich als Ansatzpunkt für neue Medikamente eignen könnte
Um
schneller zu wachsen, aktivieren Leukämiezellen typischerweise das Recycling
zelleigener Strukturen. So können sie schadhafte Bestandteile entsorgen und
sich besser mit Baustoffen versorgen. Forschende der Goethe-Universität
Frankfurt haben nun gezeigt, dass Leukämiezellen mit einer sehr häufig
auftretenden Mutation ganz spezielle Gene aktivieren, die für diesen Prozess
wichtig sind. Die Ergebnisse eröffnen künftige neue Therapieoptionen. Sie sind
nun in der Zeitschrift Cell Reports erschienen.
FRANKFURT. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
um Prof. Stefan Müller vom Institut für Biochemie II der Goethe-Universität
haben in einer aktuellen Arbeit eine bestimmte Blutkrebs-Form untersucht, die
akute myeloische Leukämie, abgekürzt AML. Die Erkrankung tritt vor allem im
Erwachsenenalter auf und endet bei älteren Betroffenen oft tödlich. Bei einem
Drittel der AML-Patientinnen und -Patienten weisen die Krebszellen eine
charakteristische Veränderung ihres Erbguts auf. Diese Mutation betrifft das
sogenannte NPM1-Gen, das die Bauanleitung für ein Protein gleichen Namens
enthält.
Es war bereits bekannt, dass die mutierte NPM1-Variante (Kürzel:
NPM1c) ein wichtiger Faktor für die Entstehung von Leukämie ist. „Wir haben nun
aber mit einem interdisziplinären Team verschiedener Arbeitsgruppen der Goethe
Universität einen neuen Weg entdeckt, wie die NPM1c-Genvariante dies macht“,
erklärt Müller. Demnach greift das veränderte Protein in einen wichtigen
Zellprozess ein, die Autophagozytose. Dabei handelt es sich um einen
Stoffwechselweg, über den die Zelle eigene Strukturen recycelt. Diese
„Selbstverdauung“ dient einerseits der Beseitigung defekter Moleküle. „Außerdem
kann die Zelle so ihren Bedarf an wichtigen Bausteinen decken, etwa bei
Nährstoffmangel oder bei erhöhter Zellteilung, einem Charakteristikum von
Krebszellen“, erklärt Hannah Mende, Doktorandin und Erstautorin der Studie.
Bei der Autophagozytose erzeugt die Zelle zunächst eine Art
Müllbeutel, das Autophagosom. Darin verpackt sie die zellulären Bestandteile,
die zerlegt und gegebenenfalls wiederverwertet werden sollen. Der Müllbeutel
wird dann zum Wertstoffhof der Zelle transportiert, dem sogenannten Lysosom.
Mit Hilfe von Säure und Enzymen wird dort der Beutelinhalt abgebaut. Danach
werden die Bausteine in die Zelle entlassen, wo sie wiederverwendet werden
können. „Wir konnten nun zeigen, dass NPM1c sowohl die Produktion der
Autophagosomen als auch die der Lysosomen fördert“, sagt Müller.
Die Forscherinnen und Forscher haben auch aufgeklärt, wie NPM1c
diese Effekte vermittelt: Es bindet an einen zentralen Regulator des
Autophagosomen-Lysosomen-Systems namens GABARAP und aktiviert ihn dadurch. „Wir
haben mit Hilfe von Computersimulationen gezeigt, dass diese Bindung von NPM1c
und GABARAP eine untypische Struktur aufweist“, erklärt Ko-Autor Dr.
Ramachandra M. Bhaskara, der die Arbeitsgruppe „Computational Cell Biology“ am
Institut für Biochemie II leitet. Experimentelle strukturbiologische Daten
bestätigen die Ergebnisse der Simulation. Auf Basis dieser Ergebnisse lassen
sich nun möglicherweise Wirkstoffe entwickeln, die ganz spezifisch die Bindung
von NPM1c an GABARAP beeinflussen, und damit das Wachstum von Leukämiezellen
bekämpfen.
Publikation: Hannah Mende, Anshu Khatri, Carolin Lange, Sergio Alejandro
Poveda-Cuevas, Georg Tascher, Adriana Covarrubias-Pinto, Frank Löhr, Sebastian
E. Koschade, Ivan Dikic, Christian Münch, Anja Bremm, Lorenzo Brunetti,
Christian H. Brandts, Hannah Uckelmann, Volker Dötsch, Vladimir V. Rogov,
Ramachandra M. Bhaskara, Stefan Müller: An atypical GABARAP binding module
drives the pro-autophagic potential of the AML-associated NPM1c variant. Cell Reports (2023), https://doi.org/10.1016/j.celrep.2023.113484
Bild zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/146339021
Bildtext: Die grünen Punkte in
diesem Fluoreszenzbild zeigen die Bindung des Leukämie-assoziierten NPM1c
Proteins an den Recycling-Regulator GABARAP. Blau: Zellkern, Violett:
Zellskelett. Foto: Hannah Mende, AG Stefan Müller, Goethe-Universität Frankfurt
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Stefan Müller
Institut
für Biochemie II
Goethe-Universität und Universitätsklinikum Frankfurt
Tel.: +49 (0)69 6301-83647
ste.mueller@em.uni-frankfurt.de
www.biochem2.de
Twitter/X: @goetheuni @IBC2_GU
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent
für Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax
069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de
Neuer Sonderforschungsbereich an der Goethe-Universität befasst sich mit der Negation in Sprache und Kognition – Sonderforschungsbereich zur Autophagie geht in die dritte Förderphase
Wie funktioniert die Verneinung in der Sprache? Und wie hängen die sprachlichen Strukturen hierfür mit der Wahrnehmung im Gehirn zusammen? Solchen Fragen widmet sich der Sonderforschungsbereich 1629 „Negation: Ein sprachliches und außersprachliches Phänomen“ (NegLaB) an der Goethe-Universität, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) heute für die Förderung bewilligt hat. Bereits in die dritte Förderphase geht ein SFB aus der Biochemie, der sich mit der selektiven Autophagie befasst, einem natürlichen Vorgang, mit dem Zellen fehlerhafte oder überflüssige Bestandteile gezielt entsorgen können. Beide Projekte werden zunächst für vier Jahre (weiter)gefördert. Insgesamt wurden vier SFB-Anträge hessischer Universitäten bewilligt, drei davon sind Fortsetzungen.
FRANKFURT. Prof.
Bernhard Brüne, Vizepräsident für Forschung an der Goethe-Universität
Frankfurt, gratuliert den beteiligten Forscherinnen und Forschern zum
erfolgreichen Antrag: „Wer ein Großprojekt wie einen Sonderforschungsbereich
auf die Beine stellt, muss kreative und tragbare Forschungsideen haben und gut
vernetzt sein. Um Neues über Sprache und Denken herausfinden, nutzt der neue
SFB 1629 nicht nur die Strukturen der Goethe-Universität und verbindet
Philologien mit Philosophie und Didaktik, sondern kooperiert auch mit weiteren
universitären Partnern in Göttingen und Tübingen. Und natürlich freue ich mich
überaus, dass der SFB 1177 zur Autophagie erneut verlängert wurde. Er war in
den vergangenen Jahren außerordentlich produktiv und verspricht auch künftig
bedeutende Erkenntnisse, die die Medizin einen großen Schritt voranbringen
können. Diesem Sonderforschungsbereich ist es zu verdanken, dass Frankfurt
in den vergangenen acht Jahren zu einem bundesweit vernetzten Zentrum für
Autophagieforschung geworden ist.“
Der SFB 1629 NegLaB
Negation, also das Verneinen einer Aussage, ist eine grundlegende
Eigenschaft der menschlichen Sprache. Sie ist fest in der Grammatik der
verschiedenen Sprachen verankert, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise.
Die grammatikalische Negation wirkt sich auf verschiedene Bereiche der
Grammatik, aber auch der Wahrnehmung (Kognition) aus. Sie ist ein komplexes
System, was schon allein dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie beim kindlichen
Spracherwerb zwar früh zum Einsatz kommt, die korrekte Verwendung aber erst zu
einem späteren Zeitpunkt erlernt wird. Auch bei Erwachsenen ist zu beobachten,
dass negative Sätze schwieriger zu verstehen sind als positive, da zunächst der
Inhalt des positiven Satzes verstanden sein muss, bevor dessen Verneinung vom
Sinn her erfasst wird. Der SFB NegLaB soll nun klären, wie die Negation
sprachübergreifend mit grammatischen und mit nicht-linguistischen kognitiven
Vorgängen zusammenhängt. Daraus erwarten sich die beteiligten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein besseres Verständnis davon, wie
linguistische Kompetenz und generelle Kognition zusammenhängen. Einzelne
Projekte befassen sich zum Beispiel mit dem sprachgeschichtlichen Hintergrund
von Adjektiven wie unaufhörlich oder unglaublich, mit der Negation in
afrikanischen Sprachen, mit den Einflüssen von Negation auf Verhalten,
Gedächtnis und Einstellungen oder mit der Rolle nichtsprachlicher kognitiver
Fähigkeiten für die Negationsverarbeitung von Kindern. Am SFB beteiligt sind
auf Seiten der Goethe-Universität die Institute für England- und
Amerikastudien, für Linguistik, für Philosophie, für Psycholinguistik und
Didaktik der deutschen Sprache, für Romanische Sprachen und Literaturen sowie
der Fachbereich für Informatik und Mathematik. Partner an der Universität
Göttingen ist das Seminar für Englische Philologie, an der Universität Tübingen
der Fachbereich Psychologie. Eine Besonderheit des Projekts ist das integrierte
Graduiertenkolleg, das Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler
für den akademischen und außerakademischen Arbeitsmarkt ausbilden soll.
Sprecherin ist Prof. Dr. Cecilia Poletto. Der SFB NegLaB erhält eine
Gesamtfördersumme von rund 9,3 Millionen Euro für drei Jahre und neun Monate.
Hinzu kommt die 22-prozentige Gesamtpauschale für indirekte Kosten aus den
Projekten.
Der SFB 1177 zur selektiven Autophagie
Bereits seit 2016 gibt es den SFB zur selektiven Autophagie unter
Federführung der Goethe-Universität, nun wird er zum zweiten Mal verlängert.
Beteiligt sind neben der Goethe-Universität Frankfurt die Universitäten von
Mainz, München, Tübingen, Heidelberg und Freiburg, das Max-Delbrück-Zentrum für
Molekulare Medizin in Berlin und das Max-Planck-Institut für Biophysik in
Frankfurt. Die selektive Autophagie ist Teil der zellulären Müllabfuhr, mit
deren Hilfe defekte oder potentiell schädliche Bestandteile abgebaut und
entsorgt werden. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Erhaltung des
zellulären Gleichgewichts und erfüllt wichtige Funktionen bei Alterungs- und
Entwicklungsprozessen. Funktioniert dieses System nicht richtig, kann sich das
Risiko für Krebs, neurodegenerative Erkrankungen und Infektionen erhöhen.
Der Forschungsverbund untersucht die Autophagie auf molekularer und
zellulärer Ebene, um künftig Fehlsteuerungen rechtzeitig entgegenwirken zu
können. Der Erfolg des Konsortiums ist unter anderem auf den Einsatz
hochmoderner Technologien zurückzuführen, die konsequent weiterentwickelt
wurden. In der dritten Förderphase wird nun die Rolle der Autophagie bei
neurodegenerativen Erkrankungen, in der Immunabwehr und bei Entzündungen weiter
erforscht. Auch stehen Prozesse wie Membranumbau und der dynamische Umsatz von
Zellorganellen im Fokus. Eine große Rolle spielt die Nachwuchsförderung, in der
ersten Förderperiode war hierfür ein Graduiertenkolleg gegründet worden – damit
das damals noch junge Feld der Autophagieforschung auch künftig gut bestellt
werden kann. Sprecher des SFB 1177 ist Prof. Dr. Ivan Đikić. Die
endgültige Höhe der Fördermittel steht bei diesem Projekt noch nicht fest.
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Cecilia Poletto
Sprecherin
SFB 1629 Negation und darüber hinaus
Institut
für romanische Sprachen
Goethe-Universität
Frankfurt
Telefon
+49 (0)69 798-32056
E-Mail
Poletto@em.uni-frankfurt.de
Homepage: http://www2.uni-frankfurt.de/44033754/Poletto
Prof.
Dr. Ivan Đikić
Sprecher
SFB 1177 Molekulare und funktionale Charakterisierung der selektiven Autophagie
Institut
für Biochemie II, Universitätsklinikum Frankfurt
Goethe-Universität
Frankfurt
Telefon
+49 (0)69 6301-5964
E-Mail
dikic@biochem2.uni-frankfurt.de
Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de
Internationales Forschungsteam unter Leitung von Goethe-Universität Frankfurt und Universitätsklinikum Jena findet Regulationsmechanismus für Struktur und Funktion des Endoplasmatischen Reticulums
Unsere Zellen sind durchzogen von einem System aus Membranröhren und -taschen, dem Endoplasmatischen Retikulum (ER). Es ist entscheidend für die Herstellung von Biomolekülen und wird kontinuierlich auf- und abgebaut. Der Abbau, die sogenannte ER-Phagie, wird durch das Protein Ubiquitin gefördert, das viele Prozesse in der Zelle steuert. Sind die an der ER-Phagie beteiligten Proteine defekt, kommt es zu neurodegenerativen Erkrankungen. Dies hat ein internationales Forschungsteam unter Führung der Goethe-Universität Frankfurt (im Rahmen des Exzellenzclusterprojekts EMTHERA) und des Universitätsklinikums Jena herausgefunden und in zwei Beiträgen in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.
FRANKFURT. Ein Gewirr aus Taschen, Röhren und sackähnlichen Membranstrukturen durchzieht die Zellen von Mensch, Tier, Pflanze und Pilz: das Endoplasmatische Retikulum, kurz ER. Im ER werden Proteine hergestellt, zu ihrer dreidimensionalen Struktur gefaltet und modifiziert, Fettstoffe und Hormone produziert und Kalziumkonzentrationen in der Zelle kontrolliert. Außerdem bildet das ER die Basis für das zelluläre Transportsystem, führt fehlerhaft gefaltete Proteine der innerzellulären Entsorgung zu und macht in die Zelle eingedrungene Giftstoffe unschädlich.
Angesichts seiner vielfältigen Aufgaben wird das ER ständig umgebaut. Für den ER-Abbau ist ein Prozess verantwortlich, der als ER-Phagie (in etwa „Selbstverdauung des ER“) bezeichnet wird. Beteiligt ist eine Gruppe von Signalempfänger-Proteinen – Rezeptoren –, die für die Membrankrümmungen des ER und damit für seine vielfältigen Formen in der Zelle verantwortlich sind. Bei der ER-Phagie sammeln sich die Rezeptoren an bestimmten Stellen des ER und verstärken die Membrankrümmung so stark, dass sich in der Folge ein Teil des ER abschnürt und von zellulären Recyclingstrukturen (Autophagosomen) in seine Bestandteile zerlegt wird.
In Zellkulturexperimenten, biochemischen und molekularbiologischen Untersuchungen sowie durch Computersimulationen testeten das Wissenschaftsteam um Prof. Ivan Đikić von der Goethe-Universität Frankfurt zunächst den Membrankrümmungsrezeptor FAM134B und konnten nachweisen, dass Ubiquitin die Bildung von Gruppen (Clustern) des FAM134B-Proteins in der ER-Membran fördert und stabilisiert. Damit treibt Ubiquitin die ER-Phagie an. Đikić erläutert: „Ubiquitin führt dazu, dass die FAM134B-Cluster stabiler werden und sich das ER an diesen Stellen stärker ausstülpt. Die stärkere Membrankrümmung führt dazu, dass die Cluster weiter stabilisiert werden und überdies weitere Membrankrümmungsproteine angelockt werden: Der Effekt des Ubiquitins verstärkt sich also selbst.“ Auch mittels Super-hochauflösender Mikroskopie konnten die Forscherinnen und Forscher die Clusterbildung nachweisen.
Đikić weiter: „Um diese Funktion zu erfüllen, verändert Ubiquitin die Form eines Teils des FAM134B-Proteins. Das ist eine weitere Facette von Ubiquitin, dass eine schier unglaubliche Fülle an Aufgaben wahrnimmt, um all die verschiedenen Zellfunktionen am Laufen zu halten.“
Wie wichtig die ER-Phagie ist, zeigt sich an Krankheiten, die auf ein fehlerhaftes FAM134B-Protein zurückzuführen sind. Ein Team unter Leitung von Prof. Christian Hübner vom Universitätsklinikum Jena hatte früher bereits Mutationen im FAM134B-Gen entdeckt, die die sehr seltene erbliche sensorische und autonome Neuropathie (HSAN) verursachen. Bei dieser Krankheit sterben sensorische Nerven ab mit der Folge, dass die betroffenen Patient:innen Schmerz und Temperatur nicht richtig wahrnehmen können. Dadurch kann es zu Fehlbelastungen kommen oder Verletzungen bleiben unbemerkt und entwickeln sich zu chronischen Wunden. Während der langjährigen Kooperation zwischen dem Universitätsklinikum Jena und der Goethe-Universität Frankfurt entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass es Rezeptoren gibt, die an der ER-Phagie beteiligt sind, und dass FAM134B einer dieser Rezeptoren ist.
Später stellte sich heraus, dass Mutationen in einem weiteren Membrankrümmungsrezeptor namens ARL6IP1 eine ähnliche neurodegenerative Störung verursachen, bei der zusätzlich zu den sensorischen Defekten noch Muskelverhärtungen (Spasmen) in den Beinen auftreten. Wie die Wissenschaftsteams um Ivan Đikić und Christian Hübner jetzt feststellten, wird an ARLI61P ebenfalls während ER-Phagie Ubiquitin angehängt.
Christian Hübner erläutert: „An Mäusen, die nicht das ARL6IP1-Protein besitzen, können wir erkennen, dass das ER stark wächst und mit zunehmendem Alter der Zellen degeneriert. Dadurch kommt es wahrscheinlich zu einer Anhäufung fehlgefalteter Proteine oder Proteinverklumpungen, die in der Zelle nicht mehr entsorgt werden. In der Folge sterben insbesondere Nervenzellen ab, die sich nicht so schnell erneuern wie andere Körperzellen, und rufen die klinischen Symptome hervor, sowohl in genetisch veränderten Mäusen wie auch in Patienten.“
Dies lasse interessante Schlussfolgerungen zu, so Hübner: „Wir vermuten anhand unserer Daten, dass die beiden Membrankrümmungsrezeptoren FAM134B und ARL6IP1 bei der ER-Phagie gemischte Cluster bilden und gemeinsam dafür sorgen, dass das ER eine normale Größe hat und gut funktioniert. Allerdings werden noch weitere Forschungen nötig sein, um die Aufgabe der ER-Phagie in Nervenzellen und anderen Zelltypen vollkommen zu verstehen.“
Dennoch habe das Forschungsteam einen entscheidenden Schritt zum Verständnis der ER-Phagie gemacht, ist Đikić überzeugt: „Wir begreifen jetzt besser, wie Zellen ihre Funktionen steuern und damit etwas schaffen, was wir als zelluläre Homöostase bezeichnen. In der Biologie erlaubt dieses Wissen faszinierende Einblicke in die unglaublichen Leistungen unserer Zellen, und für die Medizin ist es unerlässlich, um Krankheiten zu verstehen, rechtzeitig zu diagnostizieren und Patienten mit der Entwicklung neuer Therapien zu helfen.“
An den Arbeiten waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler folgender Institutionen beteiligt:
Hintergrundinformationen:
Clusterprojekt EMTHERA: Emerging strategies against infections, inflammation, and impaired immune mechanisms https://www.emthera.de/
Sonderforschungsbereich (SFB 1177) „Molekulare und funktionale Charakterisierung der selektiven Autophagie“ https://sfb1177.de/
Kontrollinstanz in der Zelle: Neuer molekularer Mechanismus, der Schädliches beseitigt – Defekte können neurodegenerative Krankheiten auslösen (2015) https://www.puk.uni-frankfurt.de/Pressemitteilungen-Goethe-Universitaet?month=Juni&search=dikic&year=2015
Publikationen:
1) Alexis González, Adriana Covarrubias-Pinto, Ramachandra M. Bhaskara, Marius Glogger, Santosh K. Kuncha, Audrey Xavier, Eric Seemann, Mohit Misra, Marina E. Hoffmann, Bastian Bräuning, Ashwin Balakrishnan, Britta Qualmann, Volker Dötsch, Brenda A. Schulman, Michael M. Kessels, Christian A. Hübner, Mike Heilemann, Gerhard Hummer, Ivan Dikic: Ubiquitination regulates ER-phagy and remodelling of endoplasmic reticulum. Nature (2023) https://doi.org/10.1038/s41586-023-06089-2
2) Hector Foronda, Yangxue Fu, Adriana Covarrubias-Pinto, Hartmut T. Bocker, Alexis González, Eric Seemann, Patricia Franzka, Andrea Bock, Ramachandra M. Bhaskara, Lutz Liebmann, Marina E. Hoffmann, Istvan Katona, Nicole Koch, Joachim Weis, Ingo Kurth, Joseph G. Gleeson, Fulvio Reggiori, Gerhard Hummer, Michael M. Kessels, Britta Qualmann, Muriel Mari, Ivan Dikić, Christian A. Hübner: Heteromeric 1 clusters of ubiquitinated ER-shaping proteins drive ER-phagy. Nature (2023) https://doi.org/10.1038/s41586-023-06090-9
Bilder zum Download:
1) https://www.uni-frankfurt.de/137667495
ER-Phagie: Ein Teil des ER schnürt sich ab und wird von Autophagosomen in seine Bestandteile zerlegt
Ein Forschungsteam in Frankfurt und Jena konnte jetzt entschlüsseln, wie die gestörte Recyclingkette des Endoplasmatischen Retikulums zu neurodegenerativen Erkrankungen führen kann. Grafik: Manja Schiefer
2) https://www.uni-frankfurt.de/137667230
Cluster von Membrankrümmungsrezeptoren in der ER-Membran
Mit einer super-hochauflösenden Mikroskopietechnik lässt sich erkennen, wie sich nach Stimulation von ER-Phagie im Endoplasmatischen Retikulum FAM134B-Proteine zu Clustern zusammenfinden. Foto: Gonzáles et al. Nature (2023) https://doi.org/10.1038/s41586-023-06089-2
Weitere Informationen
Prof. Dr. Ivan Ðikić
Institut für Biochemie II, Goethe-Universität Frankfurt
sowie Buchmann Institut für molekulare Lebenswissenschaften
Tel: +49 (0) 69 6301-5964
dikic@biochem2.uni-frankfurt.de
Twitter: @iDikic2 @goetheuni
Prof. Christian Hübner
Institut für Humangenetik
Universitätsklinikum Jena
Tel. +49 3641 9-396800
Christian.Huebner@med.uni-jena.de
Twitter: @UKJ_Jena
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für
Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax
069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de
Auszeichnung gemeinsam mit Brenda Schulman vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried – Grundlegende Arbeiten zum zellulärem Recyclingsystem durch Ubiquitin – Preisgeld 500.000 Schweizer Franken
Für
seine Beiträge zur Erforschung eines der zentralen Regulationssysteme der
Zelle, des Ubiquitin-Systems, wird Prof. Ivan Đikić, Direktor des Instituts für
Biochemie II der Goethe-Universität Frankfurt, mit dem Louis-Jeantet-Preis für
Medizin ausgezeichnet. Der Preis wird Đikić gemeinsam mit seiner
Kooperationspartnerin Prof. Brenda Schulman vom Max-Planck-Institut für Biochemie
in Martinsried bei München verliehen. Dies gab die schweizerische
Louis-Jeantet-Stiftung heute bekannt. Der Louis-Jeantet-Preis für Medizin gehört
zu den renommiertesten Auszeichnungen für die biomedizinische Forschung und ist
mit 500.000 Schweizer Franken (etwa 500.000 Euro) dotiert.
FRANKFURT. Für Wachstum, Stoffwechsel und
Signalverarbeitung benötigen die Zellen unseres Körpers Tausende Proteine, die
sie in orchestrierten Prozessen herstellen und auch wieder abbauen müssen. Bestimmte
Enzyme, sogenannte E3-Ligasen, hängen kleine Eiweißketten aus
Ubiquitin-Einheiten an defekte, überflüssige oder schädliche Proteine. So
signalisieren sie dem „Schredder“ der Zelle, dem Proteasom, dass die jeweiligen
Proteine wieder in ihre Bestandteile zerlegt werden soll. Seit vielen Jahren
erforscht Prof. Ivan Đikić dieses Ubiquitin-System und entwickelt Methoden, es
auch für die Bekämpfung von Krankheiten nutzen zu können.
Prof. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität Frankfurt,
gratulierte dem Preisträger: „Mit seinen Pionierarbeiten hat Ivan Đikić gezeigt,
dass die Ubiquitinierung nicht nur Abbau- und Selbsterneuerungsprozesse in der
Zelle steuert, sondern dass es verschiedene Arten von Ubiquitinketten gibt, die
in der Summe in die Regulierung nahezu aller zellulärer Funktionen eingreifen.
Damit hat er unser Verständnis des Ubiquitinsystems radikal erweitert und
dessen Beziehungen zu Krankheiten wie Krebs oder neurodegenerativen Störungen
offengelegt.“
Präsident Schleiff hob außerdem das innovative Anwendungspotenzial
von Đikićs Forschungsarbeiten hervor: „Ivan Đikić ist ein brillanter Forscher.
Er leitet unter anderem den Zukunftscluster PROXIDRUGS, der neue Wege zur
Entwicklung von medizinischen Wirkstoffen auf Basis des Ubiquitinsystems beschreitet.
Auf diese Weise sollen etwa krebsfördernde Proteine gezielt dem zellulären
Abbausystem zugeführt werden, aber das wäre nur eine Möglichkeit der Anwendung.
Dies eröffnet den Weg zu einer völlig neuen medikamentösen Substanzklasse, mit
deren Hilfe sich auch die zahlreichen krankheitsrelevanten Proteine adressieren
lassen, die bisher durch klassische, kleine Moleküle nicht erreichbar sind. Die
Entwicklung solch neuartiger Substanzklassen ist auch ein wichtiges Thema in
unserer Clusterinitiative EMTHERA, die wir zusammen mit der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz gestartet haben und die von Ivan Đikić gemeinsam
mit der Vorjahrespreisträgerin Özlem Türeci geleitet wird."
Đikić sagte: „Ich bin sehr
stolz darauf, den Louise-Jeantet-Preis für Medizin gemeinsam mit meiner
Kollegin und Freundin Brenda Schulman zu erhalten. Ich bin allen Mitgliedern
meines Labors, den Kollegen in Frankfurt und allen Kooperationspartnern auf der
ganzen Welt zu Dank verpflichtet, die bewiesen haben, dass die Kultur der
Zusammenarbeit und des Datenaustauschs nicht nur Freude bereitet, sondern auch
entscheidend für die Förderung wirkungsvoller wissenschaftlicher Entdeckungen
ist. Unsere Forschung hat dazu beigetragen, Frankfurt und die
Goethe-Universität unter den führenden Zentren für biomedizinische Forschung in
Deutschland zu positionieren.“
Ivan
Đikić, Jahrgang 1966, studierte an der Universität Zagreb Medizin und
promovierte an der New York University. Er gründete seine erste unabhängige
Gruppe am Ludwig-Institut für Krebsforschung in Uppsala, bevor er als Professor
für Biochemie an die Goethe-Universität Frankfurt berufen wurde. Seit 2009
leitet Đikić hier als Direktor das Institut für Biochemie II. Von 2009 bis 2013
war er zudem Gründungsdirektor des Buchmann Instituts für Molekulare
Lebenswissenschaften. Im Jahr 2018 wurde Đikić zum Fellow des
Max-Planck-Instituts für Biophysik in Frankfurt ernannt. Er ist Sprecher des
BMBF-geförderten Zukunftsclusters PROXIDRUGS, des DFG-geförderten Sonderforschungsbereichs
1177 zur selektiven Autophagie sowie Co-Sprecher des Clusterprojekts ENABLE und
designierter Sprecher der geplanten Exzellenzinitiative EMTHERA. Ferner konnte
er kürzlich bereits zum dritten Mal einen Advanced Grant des Europäischen
Forschungsrats (ERC) einwerben. Für seine biomedizinische Forschung wurde er
mit zahlreichen Preisen geehrt, unter anderem 2013 mit den Gottfried Wilhelm
Leibniz-Preis. Er ist gewähltes Mitglied der Nationalen Akademie der
Wissenschaften Leopoldina, der European Molecular Biology Organization (EMBO) und
wurde außerdem in die American Academy of Arts and Sciences aufgenommen.
Die Schweizer Louis-Jeantet-Stiftung verleiht seit 1986 jährlich
die Louis-Jeantet-Preis an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die
herausragende Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin leisten. Die
Preisträgerinnen und -träger müssen in einem der Mitgliedsstaaten des
Europarats tätig sein. Der Louis-Jeantet-Preis für Medizin ist mit 500.000
Schweizer Franken dotiert, von denen 450.000 für die Weiterführung der
Forschung der Preisträger:innen und 50.000 für ihre persönliche Verwendung
bestimmt sind.
Die Preisverleihung findet am Mittwoch, 26. April 2023, in Genf in
der Schweiz statt.
Link: https://www.jeantet.ch/en/
Bilder zum Download:
https://www.uni-frankfurt.de/123390769
Bildtext: Prof. Dr. Ivan Đikić.
Foto: Uwe Dettmar für Goethe-Universität Frankfurt
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Ivan Ðikić
Institut
für Biochemie II, Universitätsklinikum Frankfurt und Goethe-Universität
Frankfurt
sowie
Buchmann Institut für molekulare Lebenswissenschaften
Tel:
+49 (0) 69 6301-5964
dikic@biochem2.uni-frankfurt.de
Twitter:
@iDikic2
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent
für Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069
798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de