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Pressestelle Goethe-Universität

Theodor-W.-Adorno Platz 1
60323 Frankfurt 
presse@uni-frankfurt.de

 

Dez 4 2023
15:00

Studie der Goethe-Universität Frankfurt identifiziert einen Mechanismus, der sich als Ansatzpunkt für neue Medikamente eignen könnte

Leukämiezellen aktivieren zelluläres Recyclingprogramm 

Um schneller zu wachsen, aktivieren Leukämiezellen typischerweise das Recycling zelleigener Strukturen. So können sie schadhafte Bestandteile entsorgen und sich besser mit Baustoffen versorgen. Forschende der Goethe-Universität Frankfurt haben nun gezeigt, dass Leukämiezellen mit einer sehr häufig auftretenden Mutation ganz spezielle Gene aktivieren, die für diesen Prozess wichtig sind. Die Ergebnisse eröffnen künftige neue Therapieoptionen. Sie sind nun in der Zeitschrift Cell Reports erschienen.

FRANKFURT. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Stefan Müller vom Institut für Biochemie II der Goethe-Universität haben in einer aktuellen Arbeit eine bestimmte Blutkrebs-Form untersucht, die akute myeloische Leukämie, abgekürzt AML. Die Erkrankung tritt vor allem im Erwachsenenalter auf und endet bei älteren Betroffenen oft tödlich. Bei einem Drittel der AML-Patientinnen und -Patienten weisen die Krebszellen eine charakteristische Veränderung ihres Erbguts auf. Diese Mutation betrifft das sogenannte NPM1-Gen, das die Bauanleitung für ein Protein gleichen Namens enthält.

Es war bereits bekannt, dass die mutierte NPM1-Variante (Kürzel: NPM1c) ein wichtiger Faktor für die Entstehung von Leukämie ist. „Wir haben nun aber mit einem interdisziplinären Team verschiedener Arbeitsgruppen der Goethe Universität einen neuen Weg entdeckt, wie die NPM1c-Genvariante dies macht“, erklärt Müller. Demnach greift das veränderte Protein in einen wichtigen Zellprozess ein, die Autophagozytose. Dabei handelt es sich um einen Stoffwechselweg, über den die Zelle eigene Strukturen recycelt. Diese „Selbstverdauung“ dient einerseits der Beseitigung defekter Moleküle. „Außerdem kann die Zelle so ihren Bedarf an wichtigen Bausteinen decken, etwa bei Nährstoffmangel oder bei erhöhter Zellteilung, einem Charakteristikum von Krebszellen“, erklärt Hannah Mende, Doktorandin und Erstautorin der Studie.

Bei der Autophagozytose erzeugt die Zelle zunächst eine Art Müllbeutel, das Autophagosom. Darin verpackt sie die zellulären Bestandteile, die zerlegt und gegebenenfalls wiederverwertet werden sollen. Der Müllbeutel wird dann zum Wertstoffhof der Zelle transportiert, dem sogenannten Lysosom. Mit Hilfe von Säure und Enzymen wird dort der Beutelinhalt abgebaut. Danach werden die Bausteine in die Zelle entlassen, wo sie wiederverwendet werden können. „Wir konnten nun zeigen, dass NPM1c sowohl die Produktion der Autophagosomen als auch die der Lysosomen fördert“, sagt Müller.

Die Forscherinnen und Forscher haben auch aufgeklärt, wie NPM1c diese Effekte vermittelt: Es bindet an einen zentralen Regulator des Autophagosomen-Lysosomen-Systems namens GABARAP und aktiviert ihn dadurch. „Wir haben mit Hilfe von Computersimulationen gezeigt, dass diese Bindung von NPM1c und GABARAP eine untypische Struktur aufweist“, erklärt Ko-Autor Dr. Ramachandra M. Bhaskara, der die Arbeitsgruppe „Computational Cell Biology“ am Institut für Biochemie II leitet. Experimentelle strukturbiologische Daten bestätigen die Ergebnisse der Simulation. Auf Basis dieser Ergebnisse lassen sich nun möglicherweise Wirkstoffe entwickeln, die ganz spezifisch die Bindung von NPM1c an GABARAP beeinflussen, und damit das Wachstum von Leukämiezellen bekämpfen.

Publikation: Hannah Mende, Anshu Khatri, Carolin Lange, Sergio Alejandro Poveda-Cuevas, Georg Tascher, Adriana Covarrubias-Pinto, Frank Löhr, Sebastian E. Koschade, Ivan Dikic, Christian Münch, Anja Bremm, Lorenzo Brunetti, Christian H. Brandts, Hannah Uckelmann, Volker Dötsch, Vladimir V. Rogov, Ramachandra M. Bhaskara, Stefan Müller: An atypical GABARAP binding module drives the pro-autophagic potential of the AML-associated NPM1c variant. Cell Reports (2023), https://doi.org/10.1016/j.celrep.2023.113484

Bild zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/146339021

Bildtext: Die grünen Punkte in diesem Fluoreszenzbild zeigen die Bindung des Leukämie-assoziierten NPM1c Proteins an den Recycling-Regulator GABARAP. Blau: Zellkern, Violett: Zellskelett. Foto: Hannah Mende, AG Stefan Müller, Goethe-Universität Frankfurt

Weitere Informationen
Prof. Dr. Stefan Müller
Institut für Biochemie II
Goethe-Universität und Universitätsklinikum Frankfurt
Tel.: +49 (0)69 6301-83647
ste.mueller@em.uni-frankfurt.de
www.biochem2.de
Twitter/X: @goetheuni @IBC2_GU


Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de

 

Nov 24 2023
13:47

Neuer Sonderforschungsbereich an der Goethe-Universität befasst sich mit der Negation in Sprache und Kognition – Sonderforschungsbereich zur Autophagie geht in die dritte Förderphase 

„Nein“-Sagen unter der linguistischen Lupe

Wie funktioniert die Verneinung in der Sprache? Und wie hängen die sprachlichen Strukturen hierfür mit der Wahrnehmung im Gehirn zusammen? Solchen Fragen widmet sich der Sonderforschungsbereich 1629 „Negation: Ein sprachliches und außersprachliches Phänomen“ (NegLaB) an der Goethe-Universität, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) heute für die Förderung bewilligt hat. Bereits in die dritte Förderphase geht ein SFB aus der Biochemie, der sich mit der selektiven Autophagie befasst, einem natürlichen Vorgang, mit dem Zellen fehlerhafte oder überflüssige Bestandteile gezielt entsorgen können. Beide Projekte werden zunächst für vier Jahre (weiter)gefördert. Insgesamt wurden vier SFB-Anträge hessischer Universitäten bewilligt, drei davon sind Fortsetzungen.

FRANKFURT. Prof. Bernhard Brüne, Vizepräsident für Forschung an der Goethe-Universität Frankfurt, gratuliert den beteiligten Forscherinnen und Forschern zum erfolgreichen Antrag: „Wer ein Großprojekt wie einen Sonderforschungsbereich auf die Beine stellt, muss kreative und tragbare Forschungsideen haben und gut vernetzt sein. Um Neues über Sprache und Denken herausfinden, nutzt der neue SFB 1629 nicht nur die Strukturen der Goethe-Universität und verbindet Philologien mit Philosophie und Didaktik, sondern kooperiert auch mit weiteren universitären Partnern in Göttingen und Tübingen. Und natürlich freue ich mich überaus, dass der SFB 1177 zur Autophagie erneut verlängert wurde. Er war in den vergangenen Jahren außerordentlich produktiv und verspricht auch künftig bedeutende Erkenntnisse, die die Medizin einen großen Schritt voranbringen können. Diesem Sonderforschungsbereich ist es zu verdanken, dass Frankfurt in den vergangenen acht Jahren zu einem bundesweit vernetzten Zentrum für Autophagieforschung geworden ist.“

Der SFB 1629 NegLaB
Negation, also das Verneinen einer Aussage, ist eine grundlegende Eigenschaft der menschlichen Sprache. Sie ist fest in der Grammatik der verschiedenen Sprachen verankert, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Die grammatikalische Negation wirkt sich auf verschiedene Bereiche der Grammatik, aber auch der Wahrnehmung (Kognition) aus. Sie ist ein komplexes System, was schon allein dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie beim kindlichen Spracherwerb zwar früh zum Einsatz kommt, die korrekte Verwendung aber erst zu einem späteren Zeitpunkt erlernt wird. Auch bei Erwachsenen ist zu beobachten, dass negative Sätze schwieriger zu verstehen sind als positive, da zunächst der Inhalt des positiven Satzes verstanden sein muss, bevor dessen Verneinung vom Sinn her erfasst wird. Der SFB NegLaB soll nun klären, wie die Negation sprachübergreifend mit grammatischen und mit nicht-linguistischen kognitiven Vorgängen zusammenhängt. Daraus erwarten sich die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein besseres Verständnis davon, wie linguistische Kompetenz und generelle Kognition zusammenhängen. Einzelne Projekte befassen sich zum Beispiel mit dem sprachgeschichtlichen Hintergrund von Adjektiven wie unaufhörlich oder unglaublich, mit der Negation in afrikanischen Sprachen, mit den Einflüssen von Negation auf Verhalten, Gedächtnis und Einstellungen oder mit der Rolle nichtsprachlicher kognitiver Fähigkeiten für die Negationsverarbeitung von Kindern. Am SFB beteiligt sind auf Seiten der Goethe-Universität die Institute für England- und Amerikastudien, für Linguistik, für Philosophie, für Psycholinguistik und Didaktik der deutschen Sprache, für Romanische Sprachen und Literaturen sowie der Fachbereich für Informatik und Mathematik. Partner an der Universität Göttingen ist das Seminar für Englische Philologie, an der Universität Tübingen der Fachbereich Psychologie. Eine Besonderheit des Projekts ist das integrierte Graduiertenkolleg, das Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler für den akademischen und außerakademischen Arbeitsmarkt ausbilden soll. Sprecherin ist Prof. Dr. Cecilia Poletto. Der SFB NegLaB erhält eine Gesamtfördersumme von rund 9,3 Millionen Euro für drei Jahre und neun Monate. Hinzu kommt die 22-prozentige Gesamtpauschale für indirekte Kosten aus den Projekten.

Der SFB 1177 zur selektiven Autophagie
Bereits seit 2016 gibt es den SFB zur selektiven Autophagie unter Federführung der Goethe-Universität, nun wird er zum zweiten Mal verlängert. Beteiligt sind neben der Goethe-Universität Frankfurt die Universitäten von Mainz, München, Tübingen, Heidelberg und Freiburg, das Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin und das Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt. Die selektive Autophagie ist Teil der zellulären Müllabfuhr, mit deren Hilfe defekte oder potentiell schädliche Bestandteile abgebaut und entsorgt werden. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Erhaltung des zellulären Gleichgewichts und erfüllt wichtige Funktionen bei Alterungs- und Entwicklungsprozessen. Funktioniert dieses System nicht richtig, kann sich das Risiko für Krebs, neurodegenerative Erkrankungen und Infektionen erhöhen.  Der Forschungsverbund untersucht die Autophagie auf molekularer und zellulärer Ebene, um künftig Fehlsteuerungen rechtzeitig entgegenwirken zu können. Der Erfolg des Konsortiums ist unter anderem auf den Einsatz hochmoderner Technologien zurückzuführen, die konsequent weiterentwickelt wurden. In der dritten Förderphase wird nun die Rolle der Autophagie bei neurodegenerativen Erkrankungen, in der Immunabwehr und bei Entzündungen weiter erforscht. Auch stehen Prozesse wie Membranumbau und der dynamische Umsatz von Zellorganellen im Fokus. Eine große Rolle spielt die Nachwuchsförderung, in der ersten Förderperiode war hierfür ein Graduiertenkolleg gegründet worden – damit das damals noch junge Feld der Autophagieforschung auch künftig gut bestellt werden kann. Sprecher des SFB 1177 ist Prof. Dr. Ivan Đikić. Die endgültige Höhe der Fördermittel steht bei diesem Projekt noch nicht fest.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Cecilia Poletto
Sprecherin SFB 1629 Negation und darüber hinaus
Institut für romanische Sprachen
Goethe-Universität Frankfurt
Telefon +49 (0)69 798-32056
E-Mail Poletto@em.uni-frankfurt.de
Homepage: http://www2.uni-frankfurt.de/44033754/Poletto

Prof. Dr. Ivan Đikić
Sprecher SFB 1177 Molekulare und funktionale Charakterisierung der selektiven Autophagie
Institut für Biochemie II, Universitätsklinikum Frankfurt
Goethe-Universität Frankfurt
Telefon +49 (0)69 6301-5964
E-Mail dikic@biochem2.uni-frankfurt.de


Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de

 

Mai 26 2023
13:19

Internationales Forschungsteam unter Leitung von Goethe-Universität Frankfurt und Universitätsklinikum Jena findet Regulationsmechanismus für Struktur und Funktion des Endoplasmatischen Reticulums

Wenn die Zelle sich selbst verdaut: Wie sich neurodegenerative Erkrankungen entwickeln

Unsere Zellen sind durchzogen von einem System aus Membranröhren und -taschen, dem Endoplasmatischen Retikulum (ER). Es ist entscheidend für die Herstellung von Biomolekülen und wird kontinuierlich auf- und abgebaut. Der Abbau, die sogenannte ER-Phagie, wird durch das Protein Ubiquitin gefördert, das viele Prozesse in der Zelle steuert. Sind die an der ER-Phagie beteiligten Proteine defekt, kommt es zu neurodegenerativen Erkrankungen. Dies hat ein internationales Forschungsteam unter Führung der Goethe-Universität Frankfurt (im Rahmen des Exzellenzclusterprojekts EMTHERA) und des Universitätsklinikums Jena herausgefunden und in zwei Beiträgen in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.

FRANKFURT. Ein Gewirr aus Taschen, Röhren und sackähnlichen Membranstrukturen durchzieht die Zellen von Mensch, Tier, Pflanze und Pilz: das Endoplasmatische Retikulum, kurz ER. Im ER werden Proteine hergestellt, zu ihrer dreidimensionalen Struktur gefaltet und modifiziert, Fettstoffe und Hormone produziert und Kalziumkonzentrationen in der Zelle kontrolliert. Außerdem bildet das ER die Basis für das zelluläre Transportsystem, führt fehlerhaft gefaltete Proteine der innerzellulären Entsorgung zu und macht in die Zelle eingedrungene Giftstoffe unschädlich. 

Angesichts seiner vielfältigen Aufgaben wird das ER ständig umgebaut. Für den ER-Abbau ist ein Prozess verantwortlich, der als ER-Phagie (in etwa „Selbstverdauung des ER“) bezeichnet wird. Beteiligt ist eine Gruppe von Signalempfänger-Proteinen – Rezeptoren –, die für die Membrankrümmungen des ER und damit für seine vielfältigen Formen in der Zelle verantwortlich sind. Bei der ER-Phagie sammeln sich die Rezeptoren an bestimmten Stellen des ER und verstärken die Membrankrümmung so stark, dass sich in der Folge ein Teil des ER abschnürt und von zellulären Recyclingstrukturen (Autophagosomen) in seine Bestandteile zerlegt wird.

In Zellkulturexperimenten, biochemischen und molekularbiologischen Untersuchungen sowie durch Computersimulationen testeten das Wissenschaftsteam um Prof. Ivan Đikić von der Goethe-Universität Frankfurt zunächst den Membrankrümmungsrezeptor FAM134B und konnten nachweisen, dass Ubiquitin die Bildung von Gruppen (Clustern) des FAM134B-Proteins in der ER-Membran fördert und stabilisiert. Damit treibt Ubiquitin die ER-Phagie an. Đikić erläutert: „Ubiquitin führt dazu, dass die FAM134B-Cluster stabiler werden und sich das ER an diesen Stellen stärker ausstülpt. Die stärkere Membrankrümmung führt dazu, dass die Cluster weiter stabilisiert werden und überdies weitere Membrankrümmungsproteine angelockt werden: Der Effekt des Ubiquitins verstärkt sich also selbst.“ Auch mittels Super-hochauflösender Mikroskopie konnten die Forscherinnen und Forscher die Clusterbildung nachweisen. 

Đikić weiter: „Um diese Funktion zu erfüllen, verändert Ubiquitin die Form eines Teils des FAM134B-Proteins. Das ist eine weitere Facette von Ubiquitin, dass eine schier unglaubliche Fülle an Aufgaben wahrnimmt, um all die verschiedenen Zellfunktionen am Laufen zu halten.“ 

Wie wichtig die ER-Phagie ist, zeigt sich an Krankheiten, die auf ein fehlerhaftes FAM134B-Protein zurückzuführen sind. Ein Team unter Leitung von Prof. Christian Hübner vom Universitätsklinikum Jena hatte früher bereits Mutationen im FAM134B-Gen entdeckt, die die sehr seltene erbliche sensorische und autonome Neuropathie (HSAN) verursachen. Bei dieser Krankheit sterben sensorische Nerven ab mit der Folge, dass die betroffenen Patient:innen Schmerz und Temperatur nicht richtig wahrnehmen können. Dadurch kann es zu Fehlbelastungen kommen oder Verletzungen bleiben unbemerkt und entwickeln sich zu chronischen Wunden. Während der langjährigen Kooperation zwischen dem Universitätsklinikum Jena und der Goethe-Universität Frankfurt entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass es Rezeptoren gibt, die an der ER-Phagie beteiligt sind, und dass FAM134B einer dieser Rezeptoren ist. 

Später stellte sich heraus, dass Mutationen in einem weiteren Membrankrümmungsrezeptor namens ARL6IP1 eine ähnliche neurodegenerative Störung verursachen, bei der zusätzlich zu den sensorischen Defekten noch Muskelverhärtungen (Spasmen) in den Beinen auftreten. Wie die Wissenschaftsteams um Ivan Đikić und Christian Hübner jetzt feststellten, wird an ARLI61P ebenfalls während ER-Phagie Ubiquitin angehängt. 

Christian Hübner erläutert: „An Mäusen, die nicht das ARL6IP1-Protein besitzen, können wir erkennen, dass das ER stark wächst und mit zunehmendem Alter der Zellen degeneriert. Dadurch kommt es wahrscheinlich zu einer Anhäufung fehlgefalteter Proteine oder Proteinverklumpungen, die in der Zelle nicht mehr entsorgt werden. In der Folge sterben insbesondere Nervenzellen ab, die sich nicht so schnell erneuern wie andere Körperzellen, und rufen die klinischen Symptome hervor, sowohl in genetisch veränderten Mäusen wie auch in Patienten.“ 

Dies lasse interessante Schlussfolgerungen zu, so Hübner: „Wir vermuten anhand unserer Daten, dass die beiden Membrankrümmungsrezeptoren FAM134B und ARL6IP1 bei der ER-Phagie gemischte Cluster bilden und gemeinsam dafür sorgen, dass das ER eine normale Größe hat und gut funktioniert. Allerdings werden noch weitere Forschungen nötig sein, um die Aufgabe der ER-Phagie in Nervenzellen und anderen Zelltypen vollkommen zu verstehen.“ 

Dennoch habe das Forschungsteam einen entscheidenden Schritt zum Verständnis der ER-Phagie gemacht, ist Đikić überzeugt: „Wir begreifen jetzt besser, wie Zellen ihre Funktionen steuern und damit etwas schaffen, was wir als zelluläre Homöostase bezeichnen. In der Biologie erlaubt dieses Wissen faszinierende Einblicke in die unglaublichen Leistungen unserer Zellen, und für die Medizin ist es unerlässlich, um Krankheiten zu verstehen, rechtzeitig zu diagnostizieren und Patienten mit der Entwicklung neuer Therapien zu helfen.“

An den Arbeiten waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler folgender Institutionen beteiligt:

  • Goethe-Universität Frankfurt 
  • Universitätsklinikum Jena 
  • Max-Planck-Institut für Biophysik, Frankfurt 
  • Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried
  • Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie, Frankfurt 
  • Uniklinik RWTH Aachen 
  • Howard Hughes Medical Institute, San Diego, La Jolla, Kalifornien 
  • University of Groningen 
  • Aarhus University

Hintergrundinformationen: 

Clusterprojekt EMTHERA: Emerging strategies against infections, inflammation, and impaired immune mechanisms https://www.emthera.de/ 

Sonderforschungsbereich (SFB 1177) „Molekulare und funktionale Charakterisierung der selektiven Autophagie“ https://sfb1177.de/ 

Kontrollinstanz in der Zelle: Neuer molekularer Mechanismus, der Schädliches beseitigt – Defekte können neurodegenerative Krankheiten auslösen (2015) https://www.puk.uni-frankfurt.de/Pressemitteilungen-Goethe-Universitaet?month=Juni&search=dikic&year=2015

Publikationen: 

1) Alexis González, Adriana Covarrubias-Pinto, Ramachandra M. Bhaskara, Marius Glogger, Santosh K. Kuncha, Audrey Xavier, Eric Seemann, Mohit Misra, Marina E. Hoffmann, Bastian Bräuning, Ashwin Balakrishnan, Britta Qualmann, Volker Dötsch, Brenda A. Schulman, Michael M. Kessels, Christian A. Hübner, Mike Heilemann, Gerhard Hummer, Ivan Dikic: Ubiquitination regulates ER-phagy and remodelling of endoplasmic reticulum. Nature (2023) https://doi.org/10.1038/s41586-023-06089-2 

2) Hector Foronda, Yangxue Fu, Adriana Covarrubias-Pinto, Hartmut T. Bocker, Alexis González, Eric Seemann, Patricia Franzka, Andrea Bock, Ramachandra M. Bhaskara, Lutz Liebmann, Marina E. Hoffmann, Istvan Katona, Nicole Koch, Joachim Weis, Ingo Kurth, Joseph G. Gleeson, Fulvio Reggiori, Gerhard Hummer, Michael M. Kessels, Britta Qualmann, Muriel Mari, Ivan Dikić, Christian A. Hübner: Heteromeric 1 clusters of ubiquitinated ER-shaping proteins drive ER-phagy. Nature (2023) https://doi.org/10.1038/s41586-023-06090-9

Bilder zum Download: 

1) https://www.uni-frankfurt.de/137667495 
ER-Phagie: Ein Teil des ER schnürt sich ab und wird von Autophagosomen in seine Bestandteile zerlegt 
Ein Forschungsteam in Frankfurt und Jena konnte jetzt entschlüsseln, wie die gestörte Recyclingkette des Endoplasmatischen Retikulums zu neurodegenerativen Erkrankungen führen kann. Grafik: Manja Schiefer 

2) https://www.uni-frankfurt.de/137667230 
Cluster von Membrankrümmungsrezeptoren in der ER-Membran
Mit einer super-hochauflösenden Mikroskopietechnik lässt sich erkennen, wie sich nach Stimulation von ER-Phagie im Endoplasmatischen Retikulum FAM134B-Proteine zu Clustern zusammenfinden. Foto: Gonzáles et al. Nature (2023) https://doi.org/10.1038/s41586-023-06089-2 

Weitere Informationen
Prof. Dr. Ivan Ðikić
Institut für Biochemie II, Goethe-Universität Frankfurt sowie Buchmann Institut für molekulare Lebenswissenschaften
Tel: +49 (0) 69 6301-5964
dikic@biochem2.uni-frankfurt.de
Twitter: @iDikic2 @goetheuni

Prof. Christian Hübner
Institut für Humangenetik
Universitätsklinikum Jena
Tel. +49 3641 9-396800
Christian.Huebner@med.uni-jena.de
Twitter: @UKJ_Jena


Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de

 

Jan 24 2023
11:08

Auszeichnung gemeinsam mit Brenda Schulman vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried – Grundlegende Arbeiten zum zellulärem Recyclingsystem durch Ubiquitin – Preisgeld 500.000 Schweizer Franken

Ausgezeichnet: Ivan Đikić von der Goethe-Universität erhält schweizerischen Louis-Jeantet-Preis für Medizin

Für seine Beiträge zur Erforschung eines der zentralen Regulationssysteme der Zelle, des Ubiquitin-Systems, wird Prof. Ivan Đikić, Direktor des Instituts für Biochemie II der Goethe-Universität Frankfurt, mit dem Louis-Jeantet-Preis für Medizin ausgezeichnet. Der Preis wird Đikić gemeinsam mit seiner Kooperationspartnerin Prof. Brenda Schulman vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München verliehen. Dies gab die schweizerische Louis-Jeantet-Stiftung heute bekannt. Der Louis-Jeantet-Preis für Medizin gehört zu den renommiertesten Auszeichnungen für die biomedizinische Forschung und ist mit 500.000 Schweizer Franken (etwa 500.000 Euro) dotiert.

FRANKFURT. Für Wachstum, Stoffwechsel und Signalverarbeitung benötigen die Zellen unseres Körpers Tausende Proteine, die sie in orchestrierten Prozessen herstellen und auch wieder abbauen müssen. Bestimmte Enzyme, sogenannte E3-Ligasen, hängen kleine Eiweißketten aus Ubiquitin-Einheiten an defekte, überflüssige oder schädliche Proteine. So signalisieren sie dem „Schredder“ der Zelle, dem Proteasom, dass die jeweiligen Proteine wieder in ihre Bestandteile zerlegt werden soll. Seit vielen Jahren erforscht Prof. Ivan Đikić dieses Ubiquitin-System und entwickelt Methoden, es auch für die Bekämpfung von Krankheiten nutzen zu können.

Prof. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität Frankfurt, gratulierte dem Preisträger: „Mit seinen Pionierarbeiten hat Ivan Đikić gezeigt, dass die Ubiquitinierung nicht nur Abbau- und Selbsterneuerungsprozesse in der Zelle steuert, sondern dass es verschiedene Arten von Ubiquitinketten gibt, die in der Summe in die Regulierung nahezu aller zellulärer Funktionen eingreifen. Damit hat er unser Verständnis des Ubiquitinsystems radikal erweitert und dessen Beziehungen zu Krankheiten wie Krebs oder neurodegenerativen Störungen offengelegt.“

Präsident Schleiff hob außerdem das innovative Anwendungspotenzial von Đikićs Forschungsarbeiten hervor: „Ivan Đikić ist ein brillanter Forscher. Er leitet unter anderem den Zukunftscluster PROXIDRUGS, der neue Wege zur Entwicklung von medizinischen Wirkstoffen auf Basis des Ubiquitinsystems beschreitet. Auf diese Weise sollen etwa krebsfördernde Proteine gezielt dem zellulären Abbausystem zugeführt werden, aber das wäre nur eine Möglichkeit der Anwendung. Dies eröffnet den Weg zu einer völlig neuen medikamentösen Substanzklasse, mit deren Hilfe sich auch die zahlreichen krankheitsrelevanten Proteine adressieren lassen, die bisher durch klassische, kleine Moleküle nicht erreichbar sind. Die Entwicklung solch neuartiger Substanzklassen ist auch ein wichtiges Thema in unserer Clusterinitiative EMTHERA, die wir zusammen mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gestartet haben und die von Ivan Đikić gemeinsam mit der Vorjahrespreisträgerin Özlem Türeci geleitet wird."

Đikić sagte: „Ich bin sehr stolz darauf, den Louise-Jeantet-Preis für Medizin gemeinsam mit meiner Kollegin und Freundin Brenda Schulman zu erhalten. Ich bin allen Mitgliedern meines Labors, den Kollegen in Frankfurt und allen Kooperationspartnern auf der ganzen Welt zu Dank verpflichtet, die bewiesen haben, dass die Kultur der Zusammenarbeit und des Datenaustauschs nicht nur Freude bereitet, sondern auch entscheidend für die Förderung wirkungsvoller wissenschaftlicher Entdeckungen ist. Unsere Forschung hat dazu beigetragen, Frankfurt und die Goethe-Universität unter den führenden Zentren für biomedizinische Forschung in Deutschland zu positionieren.“

Ivan Đikić, Jahrgang 1966, studierte an der Universität Zagreb Medizin und promovierte an der New York University. Er gründete seine erste unabhängige Gruppe am Ludwig-Institut für Krebsforschung in Uppsala, bevor er als Professor für Biochemie an die Goethe-Universität Frankfurt berufen wurde. Seit 2009 leitet Đikić hier als Direktor das Institut für Biochemie II. Von 2009 bis 2013 war er zudem Gründungsdirektor des Buchmann Instituts für Molekulare Lebenswissenschaften. Im Jahr 2018 wurde Đikić zum Fellow des Max-Planck-Instituts für Biophysik in Frankfurt ernannt. Er ist Sprecher des BMBF-geförderten Zukunftsclusters PROXIDRUGS, des DFG-geförderten Sonderforschungsbereichs 1177 zur selektiven Autophagie sowie Co-Sprecher des Clusterprojekts ENABLE und designierter Sprecher der geplanten Exzellenzinitiative EMTHERA. Ferner konnte er kürzlich bereits zum dritten Mal einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) einwerben. Für seine biomedizinische Forschung wurde er mit zahlreichen Preisen geehrt, unter anderem 2013 mit den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis. Er ist gewähltes Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der European Molecular Biology Organization (EMBO) und wurde außerdem in die American Academy of Arts and Sciences aufgenommen.

Die Schweizer Louis-Jeantet-Stiftung verleiht seit 1986 jährlich die Louis-Jeantet-Preis an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die herausragende Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin leisten. Die Preisträgerinnen und -träger müssen in einem der Mitgliedsstaaten des Europarats tätig sein. Der Louis-Jeantet-Preis für Medizin ist mit 500.000 Schweizer Franken dotiert, von denen 450.000 für die Weiterführung der Forschung der Preisträger:innen und 50.000 für ihre persönliche Verwendung bestimmt sind.

Die Preisverleihung findet am Mittwoch, 26. April 2023, in Genf in der Schweiz statt.
Link: https://www.jeantet.ch/en/

Bilder zum Download:
https://www.uni-frankfurt.de/123390769

Bildtext: Prof. Dr. Ivan Đikić. Foto: Uwe Dettmar für Goethe-Universität Frankfurt

Weitere Informationen
Prof. Dr. Ivan Ðikić
Institut für Biochemie II, Universitätsklinikum Frankfurt und Goethe-Universität Frankfurt
sowie Buchmann Institut für molekulare Lebenswissenschaften
Tel: +49 (0) 69 6301-5964
dikic@biochem2.uni-frankfurt.de
Twitter: @iDikic2


Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de