Okt 26 2007

Vortragsreihe „Repräsentation unsichtbarer Welten“ im Rahmen der Deutsche Bank Stiftungsgastprofessur „Wissenschaft und Gesellschaft“ startet im November

Wie kann man die transparente Luft malen?

FRANKFURT. Sehen und Darstellen schaffen Wissen, die Darstellung von sichtbaren und unsichtbaren Phänomenen kreiert neue Welten. Eine der größten Herausforderungen für die Bildproduktion ist im doppelten Sinn des Wortes die Repräsentation des Unsichtbaren: Wie kann man die transparente Luft malen? Wie kann man die Gegenstände und Resultate der Nanotechnologie sichtbar machen? Welche Rolle spielt die Geschichte der Optik in unserem Verständnis von Bildern? International renommierte Wissenschaftler werden versuchen in der öffentlichen Vorlesungsreihe „Repräsentation unsichtbarer Welten“, die im Wintersemester im Rahmen der Deutsche Bank Stiftungsgastprofessur „Wissenschaft und Gesellschaft vom Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit veranstaltet wird, eine erste Skizze einer fächerübergreifenden Theorie der Darstellung des Unsichtbaren zu entwickeln. Die Frage des Unsichtbaren betrifft nicht nur die Visualisierung in Bildern, sondern auch die Begreifbarkeit in Metaphern, Diskursen und mentalen Bildern.

Seit den 1980er Jahren fanden viele Paradigmenwechsel im Bereich der Geisteswissenschaften statt. Als einige Kulturwissenschaftler der Universität Berkeley die Zeitschrift Representations gründeten, um die verschiedenen Facetten jenes Begriffes in der Sprachphilosophie, der Semiotik, der Kognitionswissenschaft, der Literatur- und Kunstgeschichte auszuloten, entwickelte sich um W. J. T. Mitchell in Chicago eine Denkschule, die einen sogenannten iconic oder pictorial turn forderte. Mitchell sprach nicht mehr von Kunstgeschichte, sondern von visual culture, so dass einige Forscher der Chicago University sich als imagists und nicht als Kunsthistoriker verstehen. Parallel entwickelten sich in Deutschland eine Bild-Anthropologie und eine Bildwissenschaft, die sich auf die Tradition Aby Warburgs stützten. Diese methodische Erweiterung interagiert mit einem Interesse für Bilder und Themen, die - wie die anatomische, technische und wissenschaftliche Illustration - der traditionellen Kunstgeschichte meistens fremd geblieben waren. An dieser Schnittstelle knüpft das Projekt der Vortragsreihe an, das der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Reichert und der Kunsthistoriker Prof. Dr. Alessandro Nova am interdisziplinär ausgerichteten Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit der Universität Frankfurt gemeinsam entwickelt haben.

Zum Auftakt spricht am 7. November (Mittwoch) Barbara Maria Stafford, Professorin für Kunstgeschichte an der Universität von Chicago; sie stellt sich der Herausforderung, neue Darstellungstechnologien, etwa im Bereich der Hirnforschung, auf ihre Auswirkungen auf unser Verständnis von Wahrnehmung und damit auch von Bildern zu befragen. Insbesondere über das sensuelle, emotionale und mentale Erfassen des Körpers und seiner Semiotik befasst sie sich in ihrem Vortrag mit Grundlagen einer kognitiven Bildästhetik, die die späte Romantik mit der heutigen Neuro-Philosophie und neuro-wissenschaftlichen Forschung verbindet. Titel ihres Vortrags: “Beyond Brain Modularity: Visual Formulas and the Encapsulation of Thought”.

Der Kunsthistoriker Hans Belting, Mitbegründer der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und Leiter des Internationalen Forschungszentrum für Kulturwissenschaften in Wien, wird am 21. November zeigen, dass die Bilder der Neuzeit in der totalen Darstellbarkeit der Welt das Unsichtbare verloren haben (Titel „Der Bildbegriff der Neuzeit. Die Austreibung des Unsichtbaren“). Damit wendet er sich gegen die geläufige These, die Bildtechniken der Neuzeit hätten das Unsichtbare ins Bild geholt.

Carlo Ginzburg, der zurzeit als Professor an der Scuola Normale Superiore in Pisa forscht, setzt sich am 5. Dezember damit auseinander, dass in der westlichen Kultur die Darstellbarkeit der sichtbaren und der unsichtbaren Welt von einem historisch konstruierten Begriff des Textes als einer unsichtbaren, unendlich reproduzierbaren Entität bestimmt gewesen ist. Dieses Phänomen wird Ginzburg mit der wohlbekannten (meist aber als selbstverständlich vorausgesetzten) Asymmetrie zwischen Texten und Bildern im Sinne ihrer Reproduzierbarkeit verbinden.

Das Gesamtprogramm und die weiteren Vorlesungen (die Vorlesungen beginnen jeweils um 18 Uhr auf dem Campus Westend, Casino, Raum 1.812):

7. November 2007
Barbara Maria Stafford
Beyond Brain Modularity: Visual Formulas and the Encapsulation of Thought

21. November 2007
Hans Belting Der Bildbegriff der Neuzeit. Die Austreibung des Unsichtbaren

5. Dezember 2007
Carlo Ginzburg
Invisible Texts, Visible Images

9. Januar 2008
Hartmut Böhme
Das Unsichtbare und die Visualisierung. Die Entstehung der Wissenschaft vom Himmel und vom Leeren

16. Januar 2008
Paolo Mancosu
Representing the Invisible in Mathematics

6. Februar 2008
Horst Bredekamp
Die Augen des Luchses

Nähere Informationen: Monika Beck, Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit, Telefon 069/798-32114, E-Mail: m.beck@em.uni-frankfurt.de