Apr 23 2008

Evolutionsbiologe Pascal Boyer Fellow bei »Templeton Research Lectures«

Verschafft die Religion den Menschen Überlebensvorteile?

FRANKFURT. Haben religiöse Menschen einen Vorteil, den sie lebensstrategisch nutzen können? Haben Religionen eine positive Rolle in der Evolution des Menschen gespielt? Oder sind Religionen eher bei Nebenprodukt der Evolution, ohne erkennbaren Sinn und Funktion? Hatten sie vormals eine Funktion, die inzwischen überflüssig geworden ist? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der international renommierten Evolutionsbiologe und Ethnologe Prof. Pascal Boyer von der Washington University, St. Louis, der mit seinem Buch »Und Mensch schuf Gott« 2004 auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Er wird vom 6. bis 18. Mai als Fellow der »Templeton Research Lectures«, die vom Institut für Religionsphilosophische Forschung der Goethe-Universität veranstaltet werden, in sechs öffentlichen Vorlesungen in englischer Sprache an der Universität Frankfurt und der Universität Gießen seine evolutionsbiologische Theorie von Religion zur Diskussion stellen.

Boyer spannt einen Bogen von der Hirnforschung über die Neurobiologie zur Sprachforschung, Psychologie, Evolutionsforschung bis hin zu den Religionswissenschaften. Die Kenntnisse darüber, wie sich das Gehirn im Laufe der Evolution entwickelt hat, bezieht der gebürtige Franzose auf das religiöse Verhalten der Menschen. Nach seinen Forschungen kam Religion während der letzten Eiszeit, also vor 50.000 Jahren, zunächst in Europa auf, zeitgleich mit dem Kunsthandwerk. Religionen allgemein deutet er als ein hilfreiches Konstrukt des menschlichen Geistes, das dem Menschen in einer spezifischen Lebenssituation (»kognitive Nische«) Überlebensvorteile verschafft. Boyer hat dazu den Begriff der »intuitiven Ontologie« geprägt: In der langen Geschichte des menschlichen Überlebenskampfes innerhalb der Evolution hat der Mensch Strategien entwickelt, unmittelbar, also ohne vollständigen Überblick über die Situation und ohne vollständige Kenntnis, angemessen zu agieren oder zu reagieren. Allerdings ist sein Versuch, Religion aus evolutionärer Perspektive herzuleiten, in der Theologie nicht unumstritten. Inwieweit lassen sich tatsächlich Religionen ganz ohne Transzendenz aus der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Gehirns erklären? Gerade aus der Sicht der christlichen Theologie, in der die Transzendenz Gottes und seine Inkarnation entscheidend sind, dürfte diese Sicht nicht unproblematisch sein. Zudem ist der christliche Glaube gerade in Abgrenzung zu »naturalistischer Religiosität« entstanden.

Boyers Gastaufenthalt in Frankfurt beendet die »Templeton Research Lectures« in Frankfurt. Über drei Jahre stellte die Templeton Foundation dem Institut für Religionsphilosophische Forschung (IRF) der Johann Wolfgang Goethe-Universität fast 280.000 Euro zur Verfügung, die noch um Landesmittel in Höhe von fast 50.000 Euro aufgestockt wurden, um im Dialog mit den Naturwissenschaften Antworten auf Fragen zum menschlichen Bewusstsein und der materiellen Bedingtheiten unseres Denksystems zu finden. Über den Kooperationsvertrag ist auch der Fachbereich Evangelische Theologie Giessen, der das Gesamtkonzept der Lectures mitgestaltet hat, eingebunden.

Programm der Vortragsreihe »Is there a Science of Religion?«

1. Öffentliche Vorlesung: Dienstag, 6. Mai 2008, 18 Uhr, Religious thought and behavior as a by-product of brain function, Einführung Prof. Dr. Jürgen Bereiter-Hahn (Frankfurt), Casino Gebäude, Campus Westend, Raum 823

2. Öffentliche Vorlesung: Mittwoch, 7. Mai 2008, 19 Uhr, Religious thought and behavior as a by-product of brain function, Margarete Bieber Saal, Justus Liebig Universität, Ludwigstraße 34, Gießen

3. Öffentliche Vorlesung: Donnerstag, 8. Mai 2008, 18 Uhr, Why religious rituals?, Casino Gebäude, Campus Westend, Raum 823

4. Öffentliche Vorlesung: Dienstag, 13. Mai 2008, 18 Uhr, Religious thought and adaptive imagination, Casino Gebäude, Campus Westend, Raum 823, mit Diskussionsbeitrag von Prof. Dr. Matthias Jung, Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

5. Öffentliche Podiumsdiskussion zwischen Prof. Dr. Pascal Boyer und Prof. Dr. Niels Gregersen, (Kopenhagen): Donnerstag, 15. Mai 2008, 18 Uhr, Is religion explained by Darwinian evolution? Alte Aula, Campus Bockenheim, 20 Uhr: Festliches Abschlusskonzert von Stefan Mikisch, The evolution of religious consciousness in music: From Bach to Wagner

6. Öffentliche Vorlesung: Freitag, 16. Mai 2008, 18 Uhr, Is religion explained by Darwinian evolution? Margarete Bieber Saal, Justus Liebig Universität, Ludwigstraße 34, Gießen, im Anschluss eine Antwort von Prof. Dr. Dr. Ina Wunn (Bielefeld), Religion and Evolution - Aspects of Neuroscience, Culture and Evolution

(Zusammenfassungen der Lectures auf Deutsch werden in den Vorlesungen ausgelegt) Nähere Informationen: www.trl-frankfurt.de;

Prof. Dr. Elisabeth A. Graeb-Schmidt, Direktorin des Instituts für Religionsphilosophische Forschung an der Goethe-Universität, E-Mail: Elisabeth.A.Graeb-Schmidt@theologie.uni-giessen.de;

Koordinator des Programms: Dr. habil. Wolfgang Achtner, Lehrbeauftragter Theologie-Naturwissenschaft, Universität Gießen, E-Mail: info@wolfgangachtner.de