Nov 14 2006

Europäische Experten warnen vor gravierenden Sicherheitsmängeln

Reisen mit dem ePass: Sicherer für die Passkontrolle - unsicherer für die Bürger

FRANKFURT. „Die europäischen Staaten dürfen ihre Bürger nicht mit den erheblichen Sicherheitsmängeln der neuen elektronischen Ausweise allein lassen, es bedarf dringend der Umsetzung eines funktionsfähigen Sicherheitskonzeptes“, fordert Prof. Dr. Kai Rannenberg, Professor an der Universität Frankfurt und Experte für „M-Commerce und mehrseitige Sicherheit“. Gemeinsam mit zehn europäischen Forschern des von der Universität Frankfurt koordinierten, multidisziplinären Forschungsnetzwerks FIDIS („Future of Identity in the Information Society“) wurde die „Budapester Erklärung“ Anfang November veröffentlicht. Darin weisen die Wissenschaftler auf die Schwächen in der Sicherheitsarchitektur für maschinenlesbare Reisedokumente hin und empfehlen korrigierende Maßnahmen. „Selbst wenn damit eine Neuentwicklung des ePasses verbunden ist, muss bald gehandelt werden“, so der Frankfurter Wirtschaftsinformatiker Denis Royer. „Denn je später die Regierungen Europas reagieren, desto schwieriger und teurer werden auch die Folgen sein.“

Im November 2005 hat Deutschland als einer der ersten Mitgliedsstaaten neue elektronische Reisepässe nach Vorgaben der Europäischen Union eingeführt. Im so genannten ePass sind biometrische Daten in einem Chip gespeichert, der kontaktlos per Funk ausgelesen werden kann. Bereits seit 2004 gab es kritische Stimmen zum Technikkonzept des ePasses. Aktuelle, gravierende Angriffe wie das Abhören der Kommunikation zwischen Lesegerät und Pass, das Brechen des aktuellen Zugriffsschutzes und das Kopieren des kontaktlosen Chips im Pass zeigen, dass die gegenwärtigen Technologien und Standards des europäischen Reisepasses als ungeeignet und unzureichend einzustufen sind.

„Die Situation ist besonders kritisch, weil im Laufe der Zeit immer mehr und schließlich alle Bürger bei Reisen diese neuen Pässe nutzen müssen. Damit reduziert sich die Sicherheit der Bürger und der Schutz ihrer Privatsphäre dramatisch“, kritisiert der Jurist Dr. Thilo Weichert vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz (ULD) in Kiel, das ebenfalls aktiv im FIDIS-Projekt ist. „Während die neuen Dokumente weiterhin anfällig für traditionelle Missbrauchsszenarien sind, bergen sie wegen der zusätzlich enthaltenen Daten und der Möglichkeit, diese ohne Wissen des Nutzers auszulesen, weitere Risiken.“

Im Gegensatz zu traditionellen Ausweisdokumenten, sind die Daten des ePasses und der entsprechenden europäischen Pendants kontaktlos per Kurzstreckenfunk auslesbar. Zwar arbeiten die hierfür benötigten Lesegeräte normalerweise in einem Bereich von 10 bis 15 Zentimetern. „Jedoch ist es durchaus möglich, einen ePass ohne das Wissen seines Besitzers auch aus größerer Entfernung auszulesen oder die Kommunikation zwischen einem Lesegerät und einem ePass aus einer Entfernung von bis zu zehn Metern abzuhören,“ erläutert Dr. Martin Meints, Mitarbeiter im Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz. Eigentlich sollte der Auslesevorgang zusätzlich durch Zugriffssteuerungsmechanismen (so genannten Access Controls) wirksam kontrolliert und beschränkt werden, doch die international genormte Basisvariante leistet dies nur mangelhaft, wie inzwischen gezeigt werden konnte.

Im ePass sind biometrische Daten in einem Chip gespeichert: Zunächst das digitale Passfoto, ab März 2007 sollen zusätzlich die Fingerabdrücke digital erfasst werden. Diese Daten bieten ein weites Spektrum an Analysemöglichkeiten, deren Missbrauch durch die Schwächen der Zugriffskontrolle wesentlich erleichtert wird. Weichert benennt eine der größten Schwächen des ePasses: „Die einfachste Stufe der Zugriffskontrolle auf seinem Chip kann überwunden werden, wenn man bestimmte Daten der so genannten ‚Machine Readable Zone’ des Passes - dazu gehören Passnummer, Geburtsdatum und Ablaufdatum des Passes - kennt.“ Diese Daten sind jedem Betrachter des Passes zugänglich; auch jeder Kopie, die beispielsweise in einem Hotel hergestellt wird, können sie entnommen werden.

Dadurch dass die Daten auf dem Chip des Passes aus mehreren Metern Entfernung „mitgehört“ werden können, eröffnet sich die Möglichkeit, nicht nur das auf dem Pass gespeicherte qualitativ hochwertige Bild zu kopieren, sondern auch den Pass einer bestimmten Person wieder zu erkennen, ohne dass diese Person das bemerkt. Angreifer können so beim Erscheinen einer bestimmten Person etwa an einem Durchgang oder einer Tür spezielle Aktionen auslösen, von Alarmen bis hin zum Schreckensszenario einer ereignisgesteuerten Bombe. „Zwar muss bei Nutzung der fortgeschrittenen Zugriffskontrolle das Lesegerät seine Autorisierung nachweisen, aber ein ePass stellt sich auf die Fähigkeiten des jeweiligen Lesegerätes - kein Land außerhalb Europas unterstützt derzeit die fortgeschrittene Zugangskontrolle - ein und so gegebenenfalls auch auf die einfache, unzureichende Zugriffskontrolle“, ergänzen die Kieler Experten.

In der „Budapest Erklärung“ wurden verschiedene Empfehlungen ausgesprochen, den Mängeln des ePasses entgegenzuwirken. Doch wie lange die Umsetzung dauern wird, dazu können die Wissenschafter keine Prognose abgeben, denn für die Entwicklung einer besseren Sicherheitsarchitektur sind die nationalen Regierungen in internationaler Abstimmung mit der International Civil Aviation Organization (ICAO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen für den zivilen Luftverkehr, zuständig. Dazu Rannenberg: „Generell sollten derartige Technologien so gestaltet sein, dass sie gegen die bestehenden Gefahrenpotenziale robust sind und dementsprechend mehrseitig sicher umgesetzt werden.“ Und wie sollen sich die Bürger, die bereits einen ePass haben, in der Zwischenzeit verhalten? Dazu Weichert: „Sie sollten die neuen Pässe nicht ungeschützt - zum Beispiel ohne Metallhülle - tragen und nicht aus der Hand geben, wenn dies nicht ausdrücklich gesetzlich gefordert ist.“

Weitere Informationen: www.fidis.net ; Budapester Erklärung unter: www.fidis.net/press-events/press-releases/

Nähere Informationen: Prof. Dr. Kai Rannenberg, Professur für M-Commerce und Mehrseitige Sicherheit, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Telefon 069/798-25301, Diplom-Wirtschaftsinformatiker Denis Royer, Mitkoordinator des FIDIS-Netzwerks, Telefon 069/798-25301; E-Mail fidiscoord@fidis.net