Mai 22 2008

Neuer Angriffspunkt für Krebs-Medikamente?

Pförtner im »Schredder« der Zelle entdeckt

FRANKFURT. Gealterte, falsch gefaltete oder nicht mehr benötigte Proteine entsorgen die Körperzellen über einen »Schredder«, das Proteasom. Beispielsweise wird das Hormon Insulin in großen Mengen während einer Mahlzeit produziert, ist aber nach drei bis fünf Minuten schon wieder zu 50 Prozent abgebaut. Versagt die zelleigene »Müllabfuhr«, so dass etwa falsch gefaltete Proteine nicht mehr vernichtet werden, können Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson auftreten. Um dies zu verhindern, müssen die komplexen Prozesse beim Proteinabbau auf atomarer Ebene erforscht sein, so dass geeignete Medikamente entwickelt werden können. Ein entscheidender Schritt auf diesem Weg ist Biochemikern der Universität Frankfurt im Rahmen einer internationalen Kooperation gelungen. Wie sie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift »Nature« berichten, haben sie einen seit langem gesuchten Rezeptor für Ubiquitin auf dem Proteasom gefunden. Dieser könnte eine Schlüsselfunktion bei der Bekämpfung von Tumoren haben.

»Eine solche Entdeckung gelingt höchstens einmal in einem Forscherleben«, erklärt Prof. Ivan Dikic, in dessen Arbeitsgruppe am Institut für Biochemie II die entscheidenden Erkenntnisse gewonnen wurden. Dieser Meinung waren auch die Redakteure der angesehenen Zeitschrift Nature, die gleich zwei Manuskripte über die wichtige Entdeckung zur Publikation annahmen: einen »article« (die Titelgeschichte der Ausgabe) sowie ein »letter« (reguläre Publikation). Der Institutsdirektor Professor Werner Müller-Esterl freut sich: »Dies ist ein wunderbarer Erfolg für unseren Exzellenzcluster«. Dies geling in der Regel nur einem unter tausend Wissenschaftlern.

Dabei sah es vor einem Jahr noch so aus, als würden die beteiligten Forschergruppen in Frankfurt, München, Minnesota und Harvard auf der Stelle treten. Denn das Pförtner-Protein aus Hefezellen, dessen Struktur sie mit Röntgenstrukturanalyse aufklären wollten, ließ sich nicht kristallisieren. Dann aber isolierte die Postdoktorandin Koraljka Husnjak ein Protein mit ähnlicher Funktion aus Säugertier-Zellen, das sich zügig kristallisieren ließ, so dass seine Struktur aufgeklärt werden konnte.

Wie die zelluläre Müllabfuhr funktioniert, fanden vor rund 30 Jahren drei Wissenschaftler heraus, die dafür 2004 mit dem Chemie-Nobelpreis geehrt wurden, Aaron Ciechanover, Avram Hershko und Irwin Rose. Seitdem ist bekannt, dass zu entsorgende Proteine mit dem überall in der Zelle vorhandenen Ubiquitin markiert werden. Sie gelangen dann über Shuttel-Moleküle oder durch Diffusion zum Proteasom, einem Fassartigen Proteinkomplex. An dessen Oberseite befindet sich eine »Pförtnerloge« mit einem schmalen Eingang zum Innenraum, in dem aggressive Enzyme die ankommenden Proteine spalten.

Doch zuerst wird streng kontrolliert, ob das Protein auch wirklich für den Schredder vorgesehen ist. Erkennt der »Pförtner« (ein Rezeptor) die Markierung mit Ubiquitin, dann wird das markierte Protein aufgefaltet, so dass es sich durch den schmalen Eingang fädeln kann. Gleichzeitig wird das Ubiquitin abgespalten und für die erneute Verwendung freigesetzt. Bisher kannte man nur einen solchen Rezeptor (Rpn10). Die Forscher entfernten diesen einen Pförtner durch genetische Eingriffe und waren überrascht, dass das Proteasom immer noch arbeitete. Das führte zu der Vermutung, dass es noch einen zweiten Rezeptor mit ähnlicher Funktion geben müsse, der das Ausfallen von Rpn10 kompensiert. Dieser wurde nun gefunden: das Protein Rpn13.

Vor etwa vier Jahren entdeckte die Gruppe erstmals, dass Ubiquitin an eine Untereinheit in der ‚Pförtnerloge« bindet. »Es lag nahe, darin den gesuchten Rezeptor zu vermuten, aber dazu mussten wir zuerst die Funktionalität dieser Bindungsstelle entschlüsseln und die Details des Bindungsprozesses auf atomarer Ebene verstehen«, erklärt Koraljka Husnjak. Darauf schaltete Gruppenleiter Ivan Dikic international führende Forschergruppen ein, die in diesem umfangreichen Forschungsprogramm ihre Expertise einbrachten: An der Strukturaufklärung arbeitete die Gruppe von Prof. Michael Groll von der Technischen Universität München (Röntgenstrukturanalyse) sowie die Gruppe von Prof. Kylie Walters von der University of Minnesota, Minneapolis (NMR-Strukturanalyse). Sobald der Bindungsprozess auf der atomaren Ebene verstanden war, konnte die Gruppe von Prof. Dan Finley an der Harvard Medical School durch Versuche mit verschiedenen Hefearten nachweisen, dass der Vorgang in lebenden Zellen tatsächlich so abläuft, wie es die Strukturmodelle nahe legen.

Für die Krebsforschung ist die Entdeckung dieses zweiten Rezeptors am Proteasom vor allem deshalb interessant, weil man ihn durch Medikamente gezielt blockieren könnte. Er würde dann verhindern, dass Proteine in der Zelle abgebaut werden. Da Krebszellen auf die Abbauprodukte spezifischer Proteine aus Signalkaskaden angewiesen sind, die für ihr Überleben und ihre Verbreitung entscheidend zu sein scheinen, würde man ihnen den Boden für ihr schnelles Wachstum entziehen. Vieles spricht dafür, dass die beiden Rezeptoren selektiv auf bestimmte Proteingruppen reagieren. Ist also einer blockiert, kann der andere weiterhin dafür sorgen, dass nicht mehr benötigte Proteine in das Proteasom eingelassen werden.

Informationen:
Prof. Dr. Ivan Dikic, Tel.: 069/6301-83647, dikic@biochem2.uni-frankfurt.de, Dr. Koraljka Husnjak, Tel.: 069/6301-4862, husnjak@biochem2.de; Sekretariat: Tel.: 069/6301-4546, klumbies@biochem2.de, Institut für Biochemie II, Campus Niederrad.