Jun 7 2007

Computer-Spiele als gesellschaftliches Phänomen: Online-Spieler fühlen sich misstrauisch beäugt – Ergebnisse einer soziologischen Studie

Jugendliche und ältere Vielzocker: Mehr als 30 Stunden pro Woche am PC

FRANKFURT. Online-Computerspiele haben einen festen Platz in der Freizeitgestaltung von Menschen aller Alters- und Berufsgruppen. Nicht nur unter Jugendlichen, sondern auch unter spielenden Erwachsenen verbringen viele einen Großteil ihrer Freizeit in virtuellen Welten: Jeder Dritte spielt täglich mehr als 180 Minuten im Netz, um mit anderen zu interagieren. Dies hat das Soziologen-Team von Prof. Dr. Klaus Allerbeck bei einer Befragung deutschsprachiger Online-Spieler festgestellt, an der sich 600 Personen im Alter von 13 bis 35 Jahren online beteiligt haben. Darüber hinaus ergab die Studie: Spieler fühlen sich von außen misstrauisch beäugt. Sie glauben, dass viele Nicht-Spieler sie als Spiele-Süchtige, kindische Außenseiter und schlimmstenfalls potenzielle Amokläufer ansehen und haben das Gefühl, sich für ihr Hobby rechtfertigen zu müssen.

Computerspiele sind also heute als ein gesellschaftliches Phänomen, und nicht in einer einzelnen gesellschaftlichen Gruppe wie bei Jugendlichen isoliert zu verorten. Vor 30 Jahren war Computerspielen Privatsache und eher ein esoterisches Hobby von Computer-Enthusiasten. Das hat sich mit der Ausbreitung des Internets grundlegend geändert. Das klassische Spielprinzip »Mensch gegen Maschine« wird immer seltener. Die Zukunft des Spielens liegt online, in der Interaktion von Mensch zu Mensch. Je mehr Personen mit anderen interagieren, desto weniger bleibt dies privat. Mit den Wechselbeziehungen der Spieler untereinander wird das Spielen zu einem Erlebnis im gesellschaftlichen Raum. Nicht nur die Mechanismen des Programms geben dem Benutzer Regeln und Gesetze vor. Sobald das Spiel öffentlich ist, kommen die Gesetze der wirklichen Welt zum Tragen, ebenso muss sich derjenige, der mitmacht, Vorschriften des Softwareherstellers unterordnen und kann die Welt dabei immer seltener aussperren. Die Ergebnisse früherer empirischer Untersuchungen zu Videospielen sind wegen des technischen Wandels und des geänderten Charakters der Spiele vollständig überholt.

Anders die Frankfurter Studie, die sich mit Computerspielen als Gesellschaftsphänomen beschäftigt und deren Ergebnisse jetzt vorgestellt wurden: In der online-Befragung wurden die freiwilligen Teilnehmer zu ihren Spielgewohnheiten und Lebensumständen befragt. Außerdem sollten die Spieler sich selbst und ihr Hobby einschätzen, und beurteilen, wie Computerspiele in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Einige Ergebnisse im Detail:

  • Die jungen Spieler zocken besonders viel: 60 Prozent der befragten 13- bis 15-Jährigen spielten in den der Befragung vorausgegangenen sieben Tagen mehr als 30 Stunden im Internet.
  • »Angriff der Alten«: Über 30-Jährige sitzen bereits fast so lange wie Schüler am PC: Ein Drittel der Befragten spielt mehr als vier Stunden am Tag. Die meisten dieser erwachsenen Viel-Zocker sind berufstätig.
  • Altersfreigaben spielen offenbar keine Rolle: 40 Prozent der unter 16-Jährigen nennen als ihr Lieblingsspiel Titel, die sie noch gar nicht spielen dürften, weil sie nicht für ihr Alter freigegeben sind.
  • Frauen spielen härter: Zwar bilden weibliche Online-Gamer mit 6 Prozent noch eine kleine Minderheit. Allerdings erobern sie die klassische Männerdomäne der Computerspiele mit großem Ehrgeiz: Vier von fünf befragten Frauen spielen mehr als drei Stunden täglich, jede zehnte gar mehr als zehn Stunden am Tag. Jede Dritte betreibt ihr Hobby auf Wettkampfniveau.
  • Die Mehrzahl der Spieler schreibt der Beschäftigung mit Computerspieler positive Effekte zu. Fast zwei Drittel glauben, dass sie beim Spielen ihre Reflexe trainieren, drei Viertel meinen, dass dieses Hobby ihr taktisches Denken schult, und zwei Drittel glauben an eine Verbesserung des logischen Denkens. 80 Prozent werten das Spielen als sehr entspannend und 58 können sich beim Spielen gut abreagieren.
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  • Spieler sehen sich von der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht gestellt: 90 Prozent glauben, dass Computerspiele in der Öffentlichkeit einen schlechten Ruf haben.


Als zentrales Defizit der öffentlichen Diskussion sieht Prof. Allerbeck an, dass zwar die Gefährdungspotenziale für Jugendliche weithin erörtert werden, aber realistische Möglichkeiten elterlicher Kontrolle noch kaum in Sicht sind. Initiativen gehen an den Erkenntnissen der Jugendsoziologie und der Sozialforschung ebenso vorbei. Zudem sind die Jugendlichen, was Computerkenntnisse angeht, ihren Eltern oft weit überlegen. Der herkömmliche Jugendschutz mit verordneten Altersgrenzen wie bei der Freiwilligen Kontrolle der Filmwirtschaft (FSK) wird der Neuartigkeit des Phänomens nicht gerecht. Es gibt in der Regel bei Spielen am PC keine unbekannten Anderen, die mit bloßem Auge Verletzungen der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend wahrnehmen, wie dies in der Schlange vor der Kino-Kasse selbstverständlich möglich ist.