Jul 15 2010

Frankfurter Japanologin Lisette Gebhardt zieht gesellschaftspolitische Schlüsse aus Studie zur japanischen Prekariatsliteratur

Japans Gesellschaft wird zunehmend von Abstiegsängsten und sozialer Härte geprägt

FRANKFURT. Die neue Armut in „reichen“ Ländern beschäftigt Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen – so auch die Frankfurter Japanologin Prof. Lisette Gebhardt, zu deren Forschungsschwerpunkten die Identitätsfindung im modernen und globalisierten Japan gehört. Am Beispiel repräsentativer Texte aus der zeitgenössischen japanischen Literatur nähert sie sich in ihrer aktuellen Studie „Nach Einbruch der Dunkelheit: Zeitgenössische japanische Literatur im Zeichen des Prekären“ (EB Verlag Berlin, Juni 2010) dem japanischen Diskurs um Abstieg und neue soziale Härte.

„Es ist deutlich zu erkennen, dass die japanische Gesellschaft seit den 1990er Jahren zunehmend von einer nachhaltigen Missstimmung, von Abstiegsängsten und Verzweiflung geprägt wird“, erklärt die Japanologin ihre Untersuchungsergebnisse. „Es entstanden dadurch sogar regelrechte defizitäre Soziotypen, wie Freeter, NEET und hikikomori.“ Allerdings thematisierten die untersuchten Texte von Autoren wie Murakami Ryû, Kirino Natsuo oder Okazaki Yoshihisa auch das Streben nach Erfüllung in einer zunehmend glücksfeindlichen, globalisierten Gesellschaft. „Die Befunde zu Japans Prekariatsliteratur und ihren Protagonisten, den Billigjobbern, Internetcafé-Flüchtlingen und anderen defizitären Soziotypen, ergeben zudem erstaunliche Parallelen zur westlichen Kritik am Primat des Kapitalismus“, erläutert Gebhardt weiter. Denn ähnlich wie zum Beispiel in Deutschland verzeichnet man in Japan derzeit einen Schwund der Mittelschicht, eine wachsende Verunsicherung und Zukunftsängste angesichts verschlechterter beruflicher Bedingungen, die mit der Deregulierung des Arbeitsmarkts einhergehen. „Während Lebensstandards und Zukunftschancen augenscheinlich schwinden, zeigen sich junge Japaner zunehmend demotiviert und verstehen sich als ‚verlorene Generation‘“, so die Autorin.

Informationen: Prof. Lisette Gebhardt, Japanologie, Campus Bockenheim, Tel: (069) 798-22853, l.gebhardt@em.uni-frankfurt.de

Lisette Gebhardt: Nach Einbruch der Dunkelheit. Zeitgenössische japanische Literatur im Zeichen des Prekären. EB-Verlag 2010, 310 Seiten, Broschiert, 24,80 Euro, ISBN 978-3868930313