Sep 30 2009

33. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde zum Thema ‚Kulturelle Aneignungen: Anpassung – Anverwandlung – Camouflage’ auf dem Campus Westend

Globale Kulturphänomene bestimmen lokales Handeln

FRANKFURT. Die isolierten Gesellschaften im fernen Afrika, Asien oder Südamerika, die von Ethnologen lange bevorzugt untersucht wurden, sind längst über Handyempfang zu erreichen, praktizieren eigene Formen des Christentums oder des Islam und pflegen ihre Präferenzen zwischen Coca Cola und Pepsi. Globale Kulturphänomene bestimmen heute lokales Handeln. Die gegenwartsbezogene Ethnologie weiß diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Dabei geht es nicht darum, nur die Nivellierung kultureller Unterschiede im Zeitalter der Globalisierung zu konstatieren. Es ist vielmehr überraschend, dass die kulturelle Diversität dem Ansturm der Globalisierung keineswegs erliegt, sondern sich wandelt und in neuen kulturellen Identitäten zum Ausdruck gelangt.

Fast 500 Ethnologinnen und Ethnologen aus dem In- und Ausland sind vom 30. September bis zum 3. Oktober zu Gast auf dem Campus Westend der Goethe-Universität und diskutieren zum Thema der Jahrestagung ‚Kulturelle Aneignungen: Anpassung – Anverwandlung – Camouflage’. Die 37 Workshops mit insgesamt knapp 300 Vorträgen zeigen, dass die Ethnologie in Deutschland längst den Status eines Orchideenfachs hinter sich gelassen hat.

‚Kulturelle Aneignung’ nimmt ganz bewusst Bezug auf die eigene Gesellschaft, verweist auf weltweite Prozesse jenseits klischeehafter Exotik und untersucht etwa die Kultur in großen Unternehmen oder Phänomene der Migration in einer pluralistischen Gesellschaft. Unter ‚Anverwandlung’ wird dabei der selektive Umgang mit Kulturimporten sowohl materieller als auch ideeller Art verstanden, die nicht einfach übernommen, sondern an tradierte Lebensformen adaptiert und mit alternierenden Bedeutungen versehen werden. Im Gegensatz zu diesen heute weltweit und weitgehend unbewusst vor sich gehenden Prozessen erfolgt die ‚Anpassung’ an die dominierende Ordnungen als Bruch mit den eigenen Überlieferungen, der – sofern er scheitert – oft zur Folge hat, Bemühungen zur Retraditionalisierung zu forcieren. Unter den Begriff ‚Camouflage’ schließlich lässt sich eine Strategie fassen, die sich den von außen erhobenen Forderungen nur scheinbar beugt, um damit Spielräume zur Verfolgung traditioneller Zielsetzungen zu schaffen.

Die Ethnologen, die heute in Deutschland in Lehre und Forschung tätig sind, bemühen sich verstärkt die gesellschaftliche Relevanz und Verantwortung des Faches in den Vordergrund zu stellen, in dem sie jenseits von Universität und Museum das Gespräch suchen mit Journalisten, und all jenen, die in unserer Gesellschaft für das ‚Fremde’ zuständig sind wie Integrationsbeauftragten, Leitern von Ausländerämtern und Sicherheitsfachleuten. Diese Bemühungen veranschaulichen, dass die gegenwärtige Ethnologie bereit ist, sich neuen Herausforderung zu stellen, das eigene Fächerprofil zu schärfen und die Stärken ethnologischer Methoden und Fragestellungen neu zu bestimmen.

Frankfurt war der Ort, an dem sich die Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde nach dem Krieg 1947 neu gründete. Seitdem war die Mainmetropole noch zweimal, 1975 bis 1979 und 1993 bis 1997 Sitz des Vorstands der Gesellschaft. Mit ihrer diesjährigen Tagung kehrt die Gesellschaft an den Ort ihrer Wiedergründung zurück. Die Tradition ethnologischer Forschung in Frankfurt geht allerdings noch weiter zurück bis in die 1920 er Jahre, als im Jahre 1925 unter der Leitung von Leo Frobenius das Forschungsinstitut für Kulturmorphologie gegründet wurde. Als ältestes ethnologisches Forschungsinstitut in Deutschland und Ausgangspunkt der ’ersten Frankfurter Schule’, hat dieses später nach seinem Gründer benannte Institut die Geschichte der ethnologischen Forschung in Deutschland entscheidend mitgeprägt. Die kontinuierliche Forschungs- und Lehrtätigkeit hat dazu geführt, dass heute die Frankfurter Ethnologie mit fünf Professuren zu den größten ethnologischen Instituten in Deutschland gehört.

Informationen Dr. Richard Kuba, Frobenius-Institut, Campus Westend, Tel. (069) 798 33056, Kuba@em.uni-frankfurt.de; Dr. Shahnaz Nadjmabadi, Institut für Ethnologie, Campus Westend, Tel. (069) 798 33230, Nadjmabadi@em.uni-frankfurt.de