Apr 12 2005

Rudolf Jaenisch erforscht das so genannte epigenetische Prinzip

„Genetische Büroklammer“ kennzeichnet aktive Gene

FRANKFURT. Prof. Rudolf Jaenisch (62) ist diesjähriger Rolf-Sammet-Stiftungsgastprofessor der Aventis Foundation. Mit ihm wurde ein herausragender Forscher ausgewählt, der mit seinen Arbeiten fundamentale Aspekte der Stammzell- und Molekularbiologie aufgeklärt hat. Zu Beginn seines Aufenthalts vom 11. bis 15. April 2005 erläutert Rudolf Jaenisch am heuti-gen Montag seine hoch interessante Forschung in allgemein verständlicher Form im Rahmen einer Bürgervorlesung (Beginn 17:15 Uhr), zu der die Universität Frankfurt gemeinsam mit der Vereinigung von Freunden und Förderern der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt e.V. die interessierte Öffentlichkeit in das Casino auf dem Campus Westend einlädt. Im Verlauf der Woche ist er darüber hinaus in einer Reihe von universitären und außeruniversitären Instituten und For-schungseinrichtungen zu Gast und hält dort Vorlesungen und Seminare.

Rudolf Jaenisch, der am renommierten Whitehead Institute for Medical Research am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) forscht und lehrt, ist einer der Pioniere der so genannten transgenen Mausmodelle. Diese Technologie gehört zu den wichtigsten Methoden, mit denen die Funktio-nen von Biomolekülen in ihrem physiologischen Umfeld erforscht werden können. Heute stehen zahlreiche transgene Tiermodellsysteme zur Verfügung, in denen die komplexen biochemischen Vorgänge, die einer Erkrankung zugrunde liegen, auf der Ebene eines ganzen Organismus studiert werden können. Dies ist besonders dann wichtig, wenn ein eher kleiner Defekt ganze Regelkreise durcheinander bringt, wie bei Krebs, Epilepsie, Bluthochdruck, Diabetes, Parkinson und Alzheimer-Demenz. Außerdem sind transgene Tiermodelle in der Entwicklung neuer Arzneimittel unverzichtbar.

Heute beschäftigt sich Rudolf Jaenisch vor allem mit verschiedenen Aspekten der Krebsentstehung sowie den biochemischen Vorgängen beim Klonen von Tieren. Diesen beiden Forschungsfeldern ist gemeinsam, dass hier ganz bestimmte Ei-genschaften des Erbmaterials, der DNA, eine entscheidende Rolle zu spielen scheinen. Denn obwohl alle Zellen unseres Köpers mit dem gleichen Genom, also der gleichen DNA, aus-gestattet sind, so zeigen die DNA-Moleküle in unterschiedlichen Zellen bei genauerem Hinsehen doch erstaunliche Unterschiede, denn offensichtlich wird die ungeheure Menge an Erbinformation vom Organismus bei seinem allmählichen Heranreifen und langsamen Altern sehr strukturiert abgerufen. Teile, die „abgearbeitet“ sind – zum Beispiel die Informationsabschnitte, die für das Heranreifen des Embryos wichtig sind –, werden auch als abgearbeitet „markiert“ und so inaktiviert. Im Gegenzug werden andere DNA-Abschnitte, die nach der Geburt in der frühen Kindheitsphase bedeutsam werden, aus ei-nem inaktiven in einen aktiven Zustand überführt. So wie man beispielsweise Abschnitte in einem Buch, die man bereits gelesen hat, mit einer Büroklammer versieht, um die Stelle schneller zu finden, an der man weiter lesen möchte, so „verschließt“ auch die Zelle die DNA-Bereiche, deren Information sie nicht mehr benötigt, weil die „Lebensphase“ abgeschlossen ist. Die „genetische Büroklammer“ ist eine kleine chemische Molekülgruppe, eine Methylgruppe. An der Aufklärung der Bedeutung der Methylierung für die Abgrenzung von aktiven DNA-Abschnitten von inaktiven war Rudolf Jaenisch maßgeblich beteiligt.

Das so genannte „epigenetische Prinzip“, das die Information in der DNA zwar nicht bestimmt, wohl aber als „verfügbar“ oder „verschlossen“ markiert, ist von enormer biologischer Relevanz, wie Rudolf Jaenisch eindrucksvoll zeigen konnte. So entsteht Krebs unter anderem dadurch, dass die betroffenen Zellen Informationen ablesen, die eigentlich als „verschlossen“ markiert waren. Zellen in einem ausgewachsenen Zellverband wie einer Leber, einer Niere oder der Lunge beginnen sich wie embryonale Zellen zu verhalten, weil ihnen die „Büroklam-mer“ abhanden gekommen ist, mit der die entsprechenden DNA-Bereiche verschlossen waren.

In Kenntnis dieser Mechanismen avancierte Rudolf Jaenisch zum eindringlichen Warner vor der Anwendung des Klonens beim Menschen – auf Basis der von ihm erarbeiteten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Auch hier spielen die „Büroklam-mern“ eine große Rolle: Eine Voraussetzung des erfolgreichen Klonens ist das „Versetzen“ dieser Büroklammern, das heißt die DNA aus der Zelle eines Erwachsenen muss in einen embryonalen Zustand zurückversetzt werden. Dass dies geht, be-weist das Klonschaf Dolly. Allerdings sind geklonte Tiere prak-tisch alle mehr oder weniger krank, da das Umsetzen der Büroklammern nur unzureichend funktioniert. Rudolf Jaenisch hat die Defekte genau studiert und ist zu dem Schluss gekom-men, dass das vermeintlich erfolgreiche Klonen eines Säugetiers so fehleranfällig ist, dass eine Anwendung am Menschen unverantwortlich wäre. Sein Aufruf „Don’t clone humans“, den er im Jahre 2001 zusammen mit Prof. Dr. Ian Wilmut, dem Schöpfer des Klonschafes Dolly und Träger des Paul Ehr-lich- und Ludwig Darmstaedter-Preises 2005, in dem renommierten Wissenschaftsjournal „Science“ publizierte, wird immer wieder zitiert. Seine generelle Ablehnung des Klonens von Menschen schließt allerdings für Rudolf Jaenisch nicht aus, Klonierungstechniken im Sinne eines therapeutischen Klonens zu entwickeln und als Option bei der Behandlung schwerer Krankheiten einzusetzen.

Informationen: Prof. Dr. Theodor Dingermann, Institut für Pharmazeutische Biologie; Campus Riedberg, und Mitglied des Kuratoriums des Rolf-Sammet-Fonds der Aventis-Foundation; Telefon: 069/798-29650; E-Mail: dingermann@em.uni-frankfurt.de

Programm

Montag, 11.04.
17:15 h Öffentliche Veranstaltung: Überreichung der Stiftungsgastprofessur-Urkunde durch Prof. Uwe Bicker, Aventis Foundation; Vortrag: „Klonierung, embryonale Stamm-zellen und Transplantationsmedizin“, Casino, Raum 823, Campus Westend

Dienstag, 12.04.
18:15 h Wissenschaftlicher Vortrag: „Nuclear cloning, stem cells and genomic reprogramming”, Universitätsklinikum Gebäude 22, Hörsaal 22, Campus Niederrad

Mittwoch, 13.04.
17:15 h Wissenschaftlicher Vortrag am Biozentrum: „Cancer, epigenetics and the reversibility of a malignant phenotype“, Biozentrum, Hörsaal B1, Campus Riedberg

Donnerstag, 14.04.
10:15 h Studentenvorlesung: „Nuclear cloning, stem cells and the potential for cell therapy”, Universitätsklinikum, Gebäu-de 23, Hörsaal 23-3, Campus Niederrad

Freitag, 15.04.
10:15 h Studentenvorlesung: „Nuclear cloning, stem cells and the potential for cell therapy”, Biozentrum, Hörsaal B1, Campus Riedberg
Prof. Rudolf Jaenisch

*1942
1967 - Promotion in Medizin am Max-Planck-Institut für Biochemie in München
1970 - Forschung bei Arnold Levine an der Universität Princeton
1977 - Leiter der Abteilung für Tumorvirologie des Heinrich Pette-Instituts der Universität Hamburg
1984 - Gründungsmitglied des Whitehead Instituts für Biomedizinische Forschung, Cambridge, USA


Auszeichnungen (Auswahl)
1996 Boehringer Mannheim Molecular Bioanalytics Prize
2001 First Peter Gruber Founda-tion Award in Genetics
2002 Robert Koch-Preis für exzellente wissenschaftliche Forschung
Fellow der American Academy of Arts and Sciences