Okt 24 2006

Abschließende Runde der Vortragsreihe im Wintersemester

Disturbing Bodies - Das doppelte Stör­potenzial der Körper

FRANKFURT. Disturbing Bodies - (Ver)Störende Körper - ist eine interdisziplinäre Vortragsreihe am Institut für England- und Amerikastudien, die das doppelte Störpotential von Körpern bereits im Titel trägt. Das Verb ‘to disturb’ scheint ja zunächst ausschließlich negative Bedeutungen zu haben. Auf den zweiten Blick aber ist die Bewertung von Störung immer abhängig von der Wertung dessen, was gestört wird. Störung ist also immer ideologisch aufgeladen und potenziell ein politischer Akt. Wenn Ordnung, Stabilität, Ruhe oder Frieden gestört werden, ist dies nur aus der Sicht jener verwerflich, die diese Ordnung, diese Stabilität, diese Ruhe oder diesen Frieden wollen. Was aber, wenn die Ordnung nur für manche der Subjekte, die ihr unterworfen sind, wünschenswert ist? Was, wenn die Ruhe nur durch Ruhigstellung zustande kommt? Was, wenn die Stabilität um den Preis des Ausschlusses erkauft, und der Frieden eine Pax Romana ist?

Seit zwei Semestern befassen sich die Referenten mit unterschiedlich medialisierten Körpern, die einerseits Quellen von Verstörung sind und andererseits Orte, an denen sich Gestörtheit manifestiert. In diesem Wintersemester nun geht die vom Institut für England- und Amerikastudien organisierte und aus Mitteln der Universität zur Frauen- und Genderforschung geförderte Vortragsreihe in ihre dritte und letzte Runde.

Das geisteswissenschaftliche Interesse am Körper ist nicht neu. Besonders aus den Gender Studies, die im Zuge der Rezeption von Judith Butlers Gender Trouble (1990) und ihrer Verabschiedung der Unterscheidung von gender vs. sex eine neue Stufe gezündet haben, kamen entscheidende Impulse. Seit über einer Dekade erscheinen in diesem Kontext zuhauf Publikationen, die die diskursive Verfasstheit von Körpern, Körperkonzepte im historischen Wandel und kulturell determinierte Rollen von Körpern in den Blick nehmen. Trotz dieses lang anhaltenden Interesses ist kein Ende des Körper-Booms in Sicht. Das gilt nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die zeitgenössische Kunst. 2003 sorgte der Bildhauer Mark Quinn mit seiner Skulptur Alison Lapper Pregnant für Aufsehen. Im Juli 2005 warb das Amsterdamer Rijksmuseum für eine Installation des Fotografen Mark Bains mit einem weiblichen Körper, der Konventionen von Schönheit (ver-)stört. Sanneke Baars war auf dem Werbeplakat von hinten zu sehen: hochgewachsen, mit blondem Langhaar und einem Bein, das im Kindesalter zu wachsen aufgehört hatte. In einem Interview benannte sie Zerstörung (destruction) und Störung (disruption) als zentrale Motive der Arbeiten von Bains. Ebenfalls im Sommer 2005 brachte Lee Breuer, Gründungsmitglied und Regisseur der experimentellen New Yorker Theater-Truppe Mabou Mines eine Adaptation von Henrik Ibsens Nora. Ein Puppenheim auf die Bühne. Ibsens proto-feministische Botschaft - dass die Männerwelt nur Platz habe für puppenähnliche Frauen, die sich selbst verniedlichen, um ihren Männern das Gefühl von Größe zu geben - wurde durch einen körperlich produzierten Verfremdungseffekt aktualisiert. Die Männerrollen waren mit Schauspielern besetzt, die maximal 1,34 m maßen, die weiblichen Rollen hingegen mit Frauen, deren Größe der durchschnittlichen Größe der ZuschauerInnen entsprach. Bühnenbild und Requisite waren auf die Maße der Männer zugeschnitten.

Inspiriert durch die theoretischen Modelle der jüngsten Gender Studies, durch literarische Texte und zeitgenössische künstlerische Arbeiten nimmt die Vortragsreihe Disturbing Bodies jene Effekte der Störung in den Blick, die Dynamisierung, Pluralisierung, das Aufbrechen von Hegemonien, ein Infragestellen von scheinbar natürlich Gegebenem und durch Tradition zur Norm Versteinertem zur Folge haben. Denn oft sind es ‘störende/gestörte’ Körper, die Bewegung in Denksysteme oder Ordnungsmuster bringen. Es geht in Disturbing Bodies aber auch um die Frage nach der Grenze der Akzeptanz von Störung und damit um den Punkt, an dem Störung in Zerstörung umschlägt.

Programm Vortragsreihe ‚Disturbing Bodies’

01.11.06
Merit Esther Engelke
Verstörende Bilder: Körperphotographien
Casino, Raum 1.802

29.11.06
Isabelle Meuret
Writing Size Zero: Figuring Anorexia in Contemporary World Literatures;
IG Hochhaus, IG 1.314

13.12.06
Sabine Doff
“Charakter, Kenntnis, Körperkraft”: Der lange Weg zum Lehrerinnenberuf in Deutschland
Casino, Raum 1.802

10.01.07
Karsten Uhl
Bilder aus Auschwitz;
Casino, Raum 1.802

24.01. 07
Bärbel Tischleder
Über Pulp in Quentin Tarantinos Pulp Fiction
IG 1.314

Die Vorträge finden jeweils am Mittwoch von 12 bis 14 Uhr in Raum 1.802 (Casino) oder IG 1.314, IG Hochhaus, Campus Westend, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt statt.

Kontakt: Dr. Sylvia Mieszkowski, Institut für England- und Amerika­studien; Campus Westend, Grüneburgplatz 1, 60623 Frankfurt; Tel.: 069/798-32346; Fax: 069/798-32375; E-Mail: mieszkowski@em.uni-frankfurt.de