Jan 6 2009

Fritsch übernimmt Stiftungsgastdozentur Poetik

„Die Alchemie der Utopie“

FRANKFURT. Werner Fritsch konnte als Gastdozent der Frankfurter Poetikvorlesungen für das Wintersemester 2009 gewonnen werden. Der Schriftsteller, Dramatiker und Regisseur folgt damit dem Ruf der Stiftungskommission und setzt in der Nachfolge Josef Winklers die in der Literaturstadt Frankfurt bereits traditionsreiche Dreiecksbeziehung zwischen der kreativen Literaturszene, den sie fördernden Verlagen und der Goethe-Universität fort. Die fünfteilige, vom 13. Januar bis zum 10. Februar stattfindende Vorlesungsreihe wird den vom Autor gewählten Titel „Die Alchemie der Utopie“ tragen.

Dabei wird Fritsch aus der Perspektive seines künstlerischen Programms und mit besonderem Blick auf sein eigenes, vielseitiges Werk die Prinzipien und Grundlagen zeitgenössischen dichterischen Schreibens erörtern. Fritsch spricht am 13.1., 20.1., 27.1., 3.2. und 10.2.2009 bei freiem Eintritt jeweils um 18 Uhr (c.t.) im großen Hörsaal VI auf dem Campus Bockenheim. Im Rahmen der Veranstaltung wird es darüber hinaus am 4. Februar (20.30 Uhr) eine Film-vorführung mit Werkstattgespräch im Deutschen Filmmuseum geben. Ferner wird der Autor am 11. Februar um 20 Uhr im Literaturhaus Frankfurt aus seinem Werk lesen.

Die Frankfurter Poetikvorlesungen wurden 1959 vom S. Fischer Verlag in Form einer Stiftungsgastdozentur eingerichtet. Seit 1963 werden sie vom Suhrkamp Verlag sowie der Vereinigung von Freunden und Förderern der Johann Wolfgang Goethe-Universität finanziell getragen. Inzwischen kann auf eine lange und reiche Geschichte zurückgeblickt werden, mit der sich von Ingeborg Bachmann bis Günther Grass und von Sarah Kirsch bis Tankred Dorst die namhaftesten und bedeutendsten Vertreter deutscher Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur verbinden lassen. Die Veranstaltung findet jedes Semester als mehrteilige Vorlesungsreihe statt und richtet sich sowohl an Studierende als auch an das literarisch interessierte Publikum aus Frankfurt und Umgebung.

Werner Fritsch wurde 1960 in Waldsassen in der Oberpfalz geboren und lebt heute in Hendlmühle und Berlin. Als Prosaautor stellte er sich 1987 der literarischen Öffentlichkeit mit dem Roman „Cherubim“ (1988 unter dem Titel „Das sind die Gewitter in der Natur“ verfilmt) vor. In geistiger Nachbarschaft zu William Faulkner erzählt Fritsch in diesem mit viel Kritikerlob aufgenommenen Erstling die Lebensgeschichte, die Träume und die Spinnereien des auf dem elterlichen Hof arbeitenden Bauernknechts Wenzel. Für diesen Roman wurde der Autor mit dem Robert-Walser-Preis und dem Preis des Landes Kärnten (vergeben im Rahmen des 11. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbes 1987) ausgezeichnet. Als „Widerstand gegen globalisierende Gleichmacherei“ blieb Fritschs schriftstellerisches Schaffen in der Folge zunächst der Region seiner Kindheit verhaftet: Natur, Mystik, Muttergottes und gefallene Engel, Leben und Tod der Menschen im Dorf, ihr Glück und ihre Trauer, Sehnsucht und Versagen - diesen Kosmos variierte und reproduzierte er in den 1990er Jahren in seinen viel beachteten Erzählungen und Hörspielen, Theaterstücken und Filmen.

Ein Theaterskandal begleitete 1992 die Uraufführung seines Dramas „Fleischwolf“. In diesem Stück hatte der Autor seine eigenen Bundeswehr-Erfahrungen verarbeitend nicht nur versucht, jene „Militanz in der Gesellschaft aufzeigen“, die sich während des ersten Irakkriegs entladen habe, sondern zugleich die brutalen Anschläge von Rostock-Lichtenhagen antizipiert. Bemerkenswert ist auch der zur szenischen Lesung umgearbeitete Monolog „Steinbruch“, der von Werner Fritsch als damaligem Hausautor des Nationaltheaters Mannheim im Frühjahr 2000 zur Uraufführung gebracht wurde. Mit diesem Stück, das von einem Bundeswehrsoldaten handelt, der von „geisteskranken Sprengköpfen“ zum Mörder und Faschisten abgerichtet wird, bestätigte der Autor seinen Ruf, einer der verstörendsten deutschen Dramatiker zu sein.

Seine neueren Arbeiten ermöglichten Werner Fritsch schließlich den Ausbruch aus der Regionalistenecke, in die er von der Literaturkritik zunehmend weggelobt worden war. Das anlässlich der Expo 2000 in Hannover verfasste subtile Gründgens-Drama „Chroma. Farbenlehre des Chamäleons“ sorgte für bundesweites Aufsehen. Fritschs im Jahr 2004 veröffentlichter Monolog „Nico. Sphinx aus Eis“ setzt hingegen der Sängerin der legendären Musikgruppe Velvet Underground ein Denkmal. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung stellt das Hörspiel „Enigma Emmy Göring“ dar. Der Autor problematisiert hierin Gegenwart und Verdrängung des Nationalsozialismus aus der schokoladen-braunen Perspektive der Ehegattin Hermann Görings; er wurde dafür u. a. mit dem ARD-Hörspiel-Preis des Jahres 2007 honoriert.

Themen der Vorlesungsreihe „Die Alchemie der Utopie“ 13.1.: Der Fluß des wilden Denkens; 20.1.: Das Meer rauscht und rauscht - bis es lauscht; 27.1.: Dies Kostüm aus Haut und Knochen; 3.2.: Hieroglyphen des Jetzt; 10.2.: Faust Sonnengesang

Informationen: Prof. Ulrich Wyss und Christian Buhr (M.A.), Stiftungsgastdozentur Poetik, Institut für deutsche Sprache und Literatur II, Campus Westend, Tel.: (069) 798-32687; E-Mail: buhr@lingua.uni-frankfurt.de