Apr 23 2005

Institut für Religionsphilosophische Forschung (IRF) legt Programm für interdisziplinären Dialog vor

Biofakt oder Artefakt? Ko-Schöpfer oder ein Produkt der Natur?

FRANKFURT. Beherrscht die Materie den Geist? Biofakt oder Artefakt – sind wir auf dem Weg zu einem neuen Begriff des Lebens? Gibt es eine biologische Basis für den Glauben? Die spannenden Fragen, die Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften gleichermaßen beschäftigen, sind formuliert und damit hat das Frankfurter Templeton-Forschungskomitee jetzt auch das Programm für die kommenden drei Jahren umrissen. Insgesamt hat das Institut für Religionsphilosophische Forschung (IRF) der Johann Wolfgang Goethe-Universität zunächst fast 400 000 Dollar zur Verfügung, um im Dialog mit den Naturwissenschaften Antworten auf die schwierigen Fragen zum menschlichen Bewusstsein und zu den materiellen Bedingtheiten unseres Denksystems zu finden. Diese Summe kann sich durch Verlängerung der Förderung um ein viertes Jahr bis auf 500 000 Dollar erhöhen.

Im März 2005 fiel die Entscheidung für Frankfurt, das gemeinsam mit der Vanderbilt University, Knoxville (USA), den weltweiten Wettbewerb mit namhaften Universitäten für sich entschied und mit den Templeton Research Lectures in das Programm des Metanexus Institutes, Philadelphia (USA), aufgenommen wurde. Finanziell unterstützt wird dieses Programm von der Templeton Foundation; sie fördert globale Initiativen, die sich mit Grenzfragen zwischen Theologie und Naturwissenschaften auseinandersetzen.

„Dass wir uns als Philosophen und Religionswissenschaftler mit den Nahtstellen zwischen Geistes- und Naturwissenschaften beschäftigen, gehört zur Frankfurter Tradition der Kritischen Theorie. So werden wir auch die Dominanz der Naturwissenschaften, wenn es um die Erklärung der Welt und der individuellen Existenz geht, im kritischen Diskurs beleuchten“, erläutert der Direktor des Institut für Religionsphilosophische Forschung, Prof. Dr. Thomas M. Schmidt, der gemeinsam mit dem Theologen Dr. Michael Parker den erfolgreichen Antrag für die Templeton Research Lectures gestellt hat. Das Programm trägt den Titel „Ko-Schöpfer oder ein Produkt der Natur? Der Mensch im Licht der Neurophilosophie, Biofaktizität und Evolutionsbiologie“.

In drei aufeinander folgenden Jahren können international renommierte Wissenschaftler als Templeton Fellows berufen werden. Erste Gespräche mit hochkarätigen Forschern sind bereits aufgenommen: „Wir wollen zum Wintersemester 2005/2006 starten“, ergänzt Schmidt. Aufgabe der Fellows wird es sein, in öffentlichen Vorlesungen streitbare Akzente in diesem interdisziplinären Dialog von „Sciene and Religion“ zu setzen, die dann in ein umfassendes Forschungs- und Lehrprogramm integriert werden. Eingebunden ist auch das schon existierende Internationale Promotionsprogramm (IPP) „Religion im Dialog“. Die Diskussion und Arbeiten zu einem Jahresthema werden abschließend auch publiziert.

Mit der Universität Frankfurt gewann zum ersten Mal eine europäische Hochschule die Templeton Research Lectures; sie befindet sich dabei in bester Gesellschaft mit den amerikanischen Elite-Hochschulen Columbia University und Stanford University. William Grassie, Ph.D., Executive Director des Metanexus Institute, sieht eine wachsende Notwendigkeit für diesen fächerübergreifenden Dialog: „Die Veränderungen des 21. Jahrhunderts erfordern eine neue interdisziplinäre Zusammenarbeit, die Fragen von Sinn, Bedeutung und Werten auf die Tagesordnung setzen. Wir müssen die Fragen nach dem Universum und der Bedeutung des Universellen wieder als zentrales Forschungsinteresse der Universität auszeichnen.“ Das von Grassie gegründete Metanexus Institute unterstützt finanziell und ideell weltweite Netwerke von Einzelnen und Gruppen, die das dynamische Beziehungsgeflecht zwischen Kosmos, Natur und Kultur erforschen. „Und in diesen globalen Netzwerken kann Frankfurt eine wichtige europäische Schaltstelle werden“, fügt der Vize-Präsident der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Prof. Dr. Jürgen Bereiter-Hahn hinzu. Der Zellbiologe gehört übrigens seit mehr als zehn Jahren zum Arbeitskreis „Naturwissenschaft und Theologie“, der die Bewerbung für die Templeton Research Lectures mit vorangetrieben hat und in dem wichtige Vorarbeiten in Forschung und Lehre geleistet wurden.

Tiefere Einblicke in die neurobiologischen Prozesse des Denkens, Fühlens und Handelns werden zu einer erheblichen Herausforderung für die von Christen- und Judentum überlieferte Auffassung, nach der der Mensch als Geschöpf Gottes zur Freiheit gegenüber sich selbst und anderen geschaffen ist, aber auch für die philosophischen Grundlagen der europäischen Aufklärung. Die drei Jahresthemen für den Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern stehen fest:

  • „Beherrscht die Materie den Geist? Neurowissenschaften und Willensfreiheit“. Dabei soll unter anderem kritisch geprüft werden, ob die von Neurowissenschaftlern vorgelegten empirischen Daten nur eine deterministische Interpretation zulassen, nach der beispielsweise Prozesse unseres Gehirns unser Denken vorbestimmen. Neben den Lectures veranstaltet das Institut für Religionsphilosophische Forschung (IRF) vom 15. bis 17. Dezember 2005 eine Internationale Fachtagung „Ich denke also bin ich? – Das Selbst zwischen Neurobiologie, Philosophie und Religion“, an der unter anderem der Philosoph Prof. Dr. Jürgen Habermas und der Hirnforscher Prof. Dr. Wolf Singer teilnehmen werden.
  • „Biofakt oder Artefakt? Auf dem Wege zu einem neuen Begriff des Lebens“. Organimplantationen, Reproduktionsmedizin und andere technische Entwicklungen lassen die Grenze zwischen dem Natürlichen und dem Artifiziellen unscharf werden, so dass die Frage, „Was ist eigentlich Leben?“ ganz neu gestellt werden muss. Das hat auch Konsequenzen für unser Verständnis vom Leben.
  • „Die evolutionäre Grundlage des religiösen Glaubens: Gibt es eine Wissenschaft der Religion?“ Im Dialog zwischen Biologie und Theologie geht es auch darum, welche Rolle der Religion in der Evolution und Ausbildung menschlicher Kultur zukommt.


Die Unterstützung für die Templeton Research Lectures berechnet sich so: In drei aufeinanderfolgenden Jahren gibt das Metanexus Institute mit Unterstützung der Templeton Foundation jeweils 90.000 Dollar nach Frankfurt. Die Summe wird um 20.000 Dollar aufgestockt, wenn die Frankfurter Wissenschaftler zudem weitere 20.000 Dollar aufbringen, dazu hat sich die Universität bereits verpflichtet. Weiter besteht die Option auf eine vierte Förderperiode. Im vierten Jahr soll dann noch ein eigenständiges Forschungsprojekt „Biofacticity“ aufgebaut werden.

Nähere Informationen: Prof. Dr. Thomas M. Schmidt, Institut für Religionsphilosophische Forschung, Fachbereich Katholische Theologie, Telefon 069/798 33270, E-mail: t.schmidt@em.uni-frankfurt.de