Nov 27 2008

Dilthey-Fellowships für Tobias Müller, Gerson Reuter und Michael C. Schneider

1,2 Millionen für Geisteswissenschaftler der Goethe-Universität

FRANKFURT. Mit insgesamt 1,2 Millionen Euro werden künftig die Frankfurter Geisteswissenschaftler Dr. Tobias Müller (Fachbereich Katholische Theologie), Dr. Gerson Reuter und Dr. Michael C. Schneider (beide Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaften) gefördert: Sie waren im Wettbewerb um die zehn Dilthey-Fellowships 2008 der Förderinitiative ›Pro Geisteswissenschaften‹ erfolgreich. Die Dilthey-Fellowships – benannt nach dem deutschen Philosophen Wilhelm Dilthey (1833 bis 1911) – sind ein Angebot für exzellente junge WissenschaftlerInnen, die nach ihrer Promotion Themen bearbeiten wollen, die den Geisteswissenschaften neue Gebiete erschließen und die auf Grund ihrer Komplexität oder ihres höheren Risikos längere Planungshorizonte benötigen. Die in Frankfurt unterstützten Projekte bewegen sich dabei in Grenzbereichen von Natur- und Geisteswissenschaften. So startete Müller im Oktober sein Projekt ›Das Rätsel des Bewusstseins. Auf der Suche nach einer integralen Theorie‹ als Kooperation der Mainzer Johannes Gutenberg- und der Frankfurter Goethe-Universität. »In den letzten Jahren förderten die Ergebnisse der Neurowissenschaften neue Erkenntnisse zutage, die für das Verständnis des Bewusstseins von großer Tragweite zu sein scheinen«, sagt der 31-Jährige. Der Erkenntnisgewinn in der Neurobiologie schreite mit atemberaubenden Tempo voran, und die Frage, inwiefern die neuen Erkenntnisse Konsequenzen für die Konzeption einer Bewusstseinstheorie und damit gleichzeitig für das Selbstverständnis des Menschen hätten, nähme immer breiteren Raum ein. »Sie führen unvermeidlich zu den Fragen, wie sich Neurowissenschaften und Philosophie des Geistes verbinden können, ob Gehirnzustände mit Bewusstseinszuständen identisch sind und ob unserer freier Wille letztlich nichts als eine Illusion ist«, so Müller, der damit Bezug auf Forschungsergbnisse prominenter Neurowissenschaftler wie Prof. Wolf Singer nimmt. Da sich die Tragweite der aktuellen neurobiologischen Ergebnisse aus methodischen Gründen nicht nur aus der Neurobiologie selbst ergäbe, will der gebürtige Bayer Müller nun eine philosophische Bewusstseinstheorie entwickeln. In ihrem Rahmen soll vor allem herausgearbeitet werden, wie die naturwissenschaftlichen Modelle und die philosophische Reflexion zusammenarbeiten können, um auf dem neusten Stand sowohl der gegenwärtigen Naturforschung als auch der gegenwärtigen Philosophie einen weiterführenden Beitrag zur Lösung des »Rätsels Bewusstein« zu leisten.

In ein thematisch verwandtes Gebiet will der Philosoph Reuter (38) mit seinem Projekt ›Wir sind biologische Lebewesen – Konsequenzen und Perspektiven einer ontologischen Theorie‹ vorwagen. Im Zentrum: die Frage »Was sind wir?«. »Wir sind gewiss Subjekte von Gedanken und Empfindungen, Personen mit Rechten und Pflichten, eingebunden in eine Vielzahl sozialer Zusammenhänge«, erklärt er, »wesentlich sind wir jedoch biologische Lebewesen. Diese ontologische Auskunft bildet den Ausgangspunkt meines Projekts, das im Dezember beginnt.«. Reuter will dabei zeigen, das besagte »ontologische Auskunft« nicht nur zu einer Lösung des Problems der personalen Identität ausgebaut, sondern darüber hinaus auch für eine Analyse des Selbstbewusstseins fruchtbar gemacht werden kann. »Einen Schwerpunkt bildet dabei die Auseinandersetzung mit entwicklungspsychologischen und kognitionswissenschaftlichen Forschungen. Das Ziel ist letztlich die Erarbeitung einer philosophisch leistungsstarken und empirisch anschlussfähigen Theorie, die direkt unser Selbstbild betrifft.« Sie soll dazu beitragen, besser zu verstehen, inwiefern der Mensch Teil einer natürlichen Welt ist, ohne sich dabei jedoch auf möglicherweise überzogene naturalistische Annahmen zu verpflichten.

Schneider schließlich, der der Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Prof. Werner Plumpe) angeschlossen ist, widmet sich bereits seit Juli der ›Wissenschaft im Unternehmen‹ und damit der naturwissenschaftlichen Forschung in der deutschen chemischen Industrie im 20. Jahrhundert. »Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist auch eine Geschichte der Verwissenschaftlichung«, sagt der Forscher, der zuvor schon an Hochschulen in Berlin, Dresden, Düsseldorf, London und München lernte und arbeitete. »In wichtigen Industriezweigen prägt naturwissenschaftliche Forschung das Gesicht vieler Unternehmen, ja, war sogar eine Voraussetzung und Bedingung ihres Aufstiegs. Besonders deutlich ist diese Entwicklung in der deutschen chemischen Industrie.« An ihrem Beispiel untersucht Schneider (Jahrgang 1968) die Bedingungen industrieller Forschung , ihre Organisation in den Unternehmen und ihre Verbindung mit der universitären Wissenschaft. »Am Anfang steht dabei die Überlegung, dass Wissenschaft, die nach Wahrheit sucht, nicht einfach ohne weiteres erfolgreich in einem ökonomischen Umfeld, dem es um Rentabilität gehen muss, organisiert werden kann. Ziel des Projektes ist es daher, die Voraussetzungen der industriellen Forschung, ihre Funktionsweise und auch ihre Verdrängungsdynamik für das 20. Jahrhundert aufzuklären.«

WEITERE INFORMATIONEN

Die Dilthey-Fellowships gehen auf die Initiative ›Pro Geisteswissenschaften‹ zurück, die von der Fritz Thyssen- und der VolkswagenStiftung in Zusammenarbeit mit der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius sowie dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft getragen wird. Das Angebot überschreitet zum einen gezielt die Fachgrenzen der Geisteswissenschaften und reicht zum anderen wesentlich über bisher übliche Projekt- und Stipendienfristen hinaus: Die Erstförderung beträgt fünf Jahre, eine Verlängerung auf bis zu zehn Jahre ist möglich