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Dez 6 2016
12:16

Videoinstallation mit Dias von Reisen der Großmutter – Reflexionen zum Bildungshunger der Nachkriegsgeneration

Neue Ausstellung der Studiengalerie 1.357: Andrea Geyer mit „Gezeiten/Tides“

FRANKFURT. Die Studiengalerie 1.357 der Goethe-Universität zeigt in ihrer neuen Ausstellung vom 7. Dezember 2016 bis 10. Februar 2017 die Arbeit „Gezeiten/Tides“ der New Yorker Künstlerin Andrea Geyer. In ihrer Videoinstallation aus dem Jahr 2015 nutzt Geyer den Dia-Fundus ihrer verstorbenen Großmutter durch Montage und Hinzufügen mehrsprachiger, assoziativer Wortketten, um den existentiellen Umgang der deutschen Nachkriegsgeneration mit der eigenen deutschen Vergangenheit zu erfassen. Die Eröffnung der Ausstellung ist

am 7. Dezember um 20 Uhr im IG-Farben Haus, erster Stock, Raum 1.357.

Die gebürtige Deutsche Andrea Geyer versetzt die Ausstellungsbesucher in die Situation eines Dia-Abends: Nach dem Urlaub werden Freunde und Bekannte nach Hause eingeladen, um ihnen von den Abenteuern in fremden Ländern zu berichten. Ein laut knarrender Diaprojektor, der rhythmisch die Dias wechselt, liefert den Hintergrundsound, die Rauminstallation deutet ein 1960er-Jahre-Ambiente an. Die Diaschau, die Andrea Geyer mit einer modernen Kamera abgefilmt hat, ist eine Auswahl des über 6000 Einzelbilder enthaltenden Nachlasses ihrer Großmutter Marga Federlin. Die Großmutter hatte sich in den 1960er Jahren nach dem Tod ihres Mannes und dem Verkauf des Eigenheims über 20 Jahre immer wieder auf Bildungsreisen begeben. Ihr Interesse an diesen Reisen ist exemplarisch für die bürgerliche Mittelklasse der Nachkriegsgeneration seit den 1960er Jahren, die wieder zu einem auskömmlichen Leben gefunden hatte: Sie bereiste Europa, Nordafrika und Russland, immer auf der Suche nach den „Alten Meistern”, dem Okzident vor der Zeit der deutschen Barbarei. Aber der Schrecken der eigenen Vergangenheit blieb gegenwärtig, oder – wie ein Mitreisender von Marga Federlin notierte: „Wir brachen auf, um die Alten Meister zu finden, aber alles was wir fanden, war das Spiegelbild unserer eigenen Kultur.”

Geyers Auswahl an Dias zeigt Bilder von Kulturorten, Museen, Ruinen, Landschaften, aber auch Schnappschüsse aus dem Reisealltag. Dazu tragen vier Frauenstimmen, gewissermaßen die fiktiven Gäste des Dia-Abends, auf English, Spanisch und Deutsch Begriffsketten vor. Es sind Begriffe, die die Zeit des Grauens präsent machen und das Geräusch des Diaprojektors stören. In den assoziativen Begriffsketten ist jene Vergangenheit gegenwärtig, die von den Bildungsreisen, der Wiederaneignung der okzidentalen Tradition, überlagert werden sollte. Auch diese Stichworte des Grauens hat Andrea Geyer dem hinterlassenen Material ihrer Großmutter entnommen. In der Überlagerung von Wortketten und Bildfolgen entstehen Assoziationsräume, die um Schuld und Verdrängung kreisen, und immer auch um die Rolle der Frauen während und nach dem Nationalsozialismus.

Andrea Geyer wurde 1971 in Freiburg geboren; sie lebt und arbeitet seit 1996 in New York, wo sie eine Professuran der Parsons School of Art, Media and Technology innehat. Geyer beschäftigt sich mit Medien, Fotografie und Videokunst als Installationen.Sie studierte zunächst an der Freien Kunstakademie Stuttgart, dann Fotografie, Film und Design an der Fachhochschule Braunschweig und freie Künste an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Für ihre Arbeiten erhielt sie mehrere Auszeichnungen und stellte bereits in den USA, Kanada, Mexiko, Deutschland, Großbritannien und zahlreichen anderen Ländern aus. Mit „Gezeiten/Tides” führt sie ihre Auseinandersetzung mit der deutschen Nachkriegsgeschichte fort, die sie in Arbeiten wie der Videoinstallation „Criminal Case 40/61: Reverb” (2009), die sich mit dem Eichmann-Prozess beschäftigt, begonnen hat.

Die Studiengalerie 1.357 ist eine Kooperation des Städel Museums, des MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main und der Goethe-Universität. Sie realisiert pro Jahr vier Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst, die unter dem Leittitel „Erinnerungskultur und Bildgebrauch“ in Lehrveranstaltungen von Studierenden verschiedener Disziplinen erarbeitet werden.  Während des Semesters sind die Ausstellungen montags bis donnerstags von 12 bis 17 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.

Informationen: Prof. Dr. Bernhard Jussen, Historisches Seminar, Campus Westend, Tel.: (069) 798 -32424, jussen@em.uni-frankfurt.de; Prof. Dr. Christian Spies, Kunstgeschichtliches Institut; Sina Brückner, studentische Mitarbeiterin der Studiengalerie 1.357, sinabrueckner@icloud.com