Jun 11 2010

Gemeinsame genetische Risikofaktoren von psychiatrischen Entwicklungsstörungen und Autismus vermutet

Autismus: Veränderte Genzahl charakterisiert Erbgut

FRANKFURT. Das Erbgut von Autismuspatienten zeigt häufig eine Reihe seltener genetischer Veränderungen. Viele Gene liegen in veränderter Kopienanzahl vor – sie sind vervielfältigt oder aber verloren gegangen. Einige der betroffenen Gene spielen auch bei anderen psychiatrischen Entwicklungsstörungen eine Rolle. Diese Ergebnisse veröffentlichte ein internationales Forschungskonsortium in der neuesten Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature. In Deutschland sind Wissenschaftler der Goethe-Universität und des Deutschen Krebsforschungszentrums beteiligt.

Das „Autism Genome Project“ ist ein Zusammenschluss von 120 Wissenschaftlern aus über 60 Forschungseinrichtungen in 11 Ländern, das seit 2003 die genetischen Ursachen von Autismus erforscht (www.autismgenome.org). In Deutschland sind die Arbeitsgruppen von Prof. Christine Freitag von der Goethe Universität und Privatdozentin Dr. Sabine Klauck aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum an den Untersuchungen beteiligt.

Für die aktuelle Studie untersuchten die Forscher das Erbgut von 1000 Personen mit einer autistischen Störung auf bestimmte Erbgutveränderungen, die als ‚copy number variants’ bezeichnet werden. Zum Vergleich analysierten sie die Genome von 1300 Kontrollpersonen. Bei Personen mit Autismus sind vor allem solche Gene verdoppelt oder verloren gegangen, die beim Wachstum von Zellen und bei der Vernetzung von Nervenzellen eine Rolle spielen. „Wir haben besonders viele Veränderungen der Kopienzahl bei Genen entdeckt, die sowohl bei der Entstehung von Autismus als auch bei geistigen Beeinträchtigungen entscheidend sind. Das unterstreicht die Hypothese, dass verschiedenen psychiatrischen Entwicklungsstörungen gemeinsame genetische Risikofaktoren zugrunde liegen können“, sagt Sabine Klauck.

Die Ergebnisse zeigen, dass Autismus durch eine Reihe seltener Genveränderungen verursacht werden kann, von denen jede einzelne nur weniger als ein Prozent der Bevölkerung betrifft. Teilweise haben die Betroffenen diese Veränderung von ihren Eltern geerbt, sie können aber auch spontan entstehen. Christine Freitag erläutert die Bedeutung der Studie: „Die genaue Untersuchung der neu entdeckten Erbgutveränderungen soll uns helfen, die biologischen Prozesse bei der Entstehung von Autismus besser zu verstehen und möglicherweise Angriffspunkte für Therapien zu finden.“

Autismuspatienten erben die Krankheit meist von ihren Eltern und fallen durch Probleme in der Kommunikation, eingeschränkte Sozialkontakte und stereotype Verhaltensmuster auf. Die Bandbreite der kognitiven Entwicklung reicht von überdurchschnittlicher Intelligenz bis hin zur geistigen Behinderung. Die Erkrankung kann in verschiedenen Schweregraden auftreten, daher fassen Ärzte Autismus als Gruppe von Funktionsstörungen mit ähnlichen Merkmalen zusammen (engl. autism spectrum disorders). Dazu gehören der frühkindliche Autismus, das Asperger Syndrom und der atypische Autismus. Etwa ein Prozent der Bevölkerung weist eine solche Störung auf.

Die deutschen Partner des „Autism Genome Project“ wurden durch Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Europäischen Union gefördert.

Informationen: Prof. Christine Freitag, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes und Jugendalters,Universitätsklinik der Goethe Universität, Tel.: (069) 6301-5408, C.Freitag@em.uni-frankfurt.de.