Apr 24 2009

Veranstaltungsreihe bietet Einblicke in die niederländische Kultur

Jenseits von Tulpen und Windmühlen

FRANKFURT. Die Goethe-Universität erweitert ihr Studienangebot in der Niederlandistik und bietet gleichzeitig im Sommersemester für die Frankfurter Bürger eine vielseitige Veranstaltungsreihe zur „Niederländischen Sprache & Kultur“. Organisiert wird die Reihe vom Lektorat Niederländisch der Goethe-Universität in Zusammenarbeit mit dem Niederländischen Generalkonsulat Frankfurt und mit Unterstützung der „Nederlandse Taalunie“. Das Programm zeigt, dass der niederländische Kulturraum mehr zu bieten hat, als Tulpen und Windmühlen. Mit den Chancen und Schwierigkeiten einer multikulturellen Gesellschaft setzt sich beispielsweise das niederländische Kino auseinander. Die eigene, zum Teil streng religiöse Vergangenheit ist ein aktuelles Thema in der niederländischen Literatur. Geplant sind im Sommersemester drei Autorenlesungen, vier Kinofilme und eine Podiumsdiskussion mit anschließender Theateraufführung.

Die drei geladenen Schriftsteller aus den Niederlanden und Belgien lesen aus ihren aktuellen Romanen vor, die sowohl in den Niederlanden und Flandern, als auch im deutschsprachigen Raum großen Anklang bei Lesern und Kritikern fanden. Die Lesungen in deutscher und niederländischer Sprache beginnen jeweils um 20 Uhr im Casino, Raum 1.812, Campus Westend. Am Freitag (24. April) startet Gerbrand Bakker mit seiner Lesung aus „Oben ist es still“. Bakker (geboren 1962), der auch gelernter Gärtner ist, schildert in seinem Roman die Geschichte von Helmer van Wonderen, der versucht, sein Leben neu zu ordnen. Helmer, der den Bauernhof seiner Eltern übernommen hat, verbannt nicht nur alle Möbel, Teppiche und Pflanzen, die ihn an früher erinnern könnten, aus seinen Wohnräumen, sondern verfrachtet auch seinen bettlägerigen Vater ein Stockwerk höher. Doch die Vergangenheit holt ihn später ein. Bakkers Erzählstil ist trocken und lakonisch, gleichzeitig subtil und fesselnd. Bakkers Roman spielt auf dem „platten Land“ und dürfte mit dem einsamen Hof, den Schafen und Kühen und tatsächlich auch einer Windmühle dem deutschen Niederlandebild entsprechen – für die junge, urbane niederländische Literatur hingegen ist er untypisch.

Der 1938 geborene Jan Siebelink liest am 25. Mai (Montag) aus „Im Garten des Vaters“. Siebelink, der selbst in der Gärtnerei seines streng religiösen Vaters aufwuchs, erzählt die Geschichte des Gärtners Hans Sievez, den wie Bakkers Protagonisten die eigene Vergangenheit einholt. Auch wenn die Gärtnerei wie das Paradies auf Erden anmutet, ist Hans' Leben kein Paradies. Die Schatten seiner Kindheit unter dem Regime eines strenggläubigen Vaters lassen ihn nicht los und Hans verliert sich in religiösen Vorstellungen. Der weltabgewandte, biblische Sprachgebrauch unterstreicht die archaisch anmutende Geschichte. Dass dieses Thema auch in den Niederlanden des 21. Jahrhunderts noch aktuell ist, zeigt die – für den niederländischen Sprachraum enorm hohe – Auflagenzahl von mehr als 600.000 Exemplaren.

Mit ihrem Debüt „Schlaf!" gelang der Belgierin Annelies Verbeke (geboren 1976) der sofortige Durchbruch als Schriftstellerin. Sie liest am 25. Juni (Freitag) aus ihrem tragikomischen Roman, in dem sie die Geschichte einer jungen Frau beschreibt, die an Schlaflosigkeit leidet und alles dagegen unternimmt. Langsam beginnt Maya die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. In den langen, schlaflosen Nächten kommt es zu bizarren Ereignissen und Begegnungen, bis Maya eines Nachts dem ebenfalls schlaflosen Benoit begegnet.

„Niederländisches Kinder- und Jugendtheater auf deutschen Bühnen. Eine Erfolgsstory“ ist das Thema einer Podiumsdiskussion und Theateraufführung am 18. Mai (Montag), 19 Uhr im Casino, Raum 1.801, Campus Westend. In den letzten Jahrzehnten sind niederländische Kinder- und Jugendtheaterstücke von deutschen Bühnen nicht mehr wegzudenken. Stücke von Ad de Bont oder Pauline Mol, Theaterfassungen von Kinderbuchautoren wie Guus Kuijer oder Wim Hofman finden sich mit großer Regelmäßigkeit auf den Spielplänen deutschsprachiger Theater. Über das Phänomen dieses Erfolgs diskutieren Fachleute aus Theorie und Praxis. Auf dem Podium diskutieren: Prof. Hans-Heino Ewers, Literaturwissenschaftler und Direktor des Instituts für Jugendbuchforschung an der Goethe-Universität, Susanne Freiling, Dramaturgin am Theaterhaus Frankfurt und künstlerische Leiterin des Theaterhaus Ensembles Frankfurt, Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums der Bundesrepublik Deutschland und Lehrbeauftragter am Institut für Jugendbuchforschung, Dr. Marion Victor, Lektorin für den Bereich Theater im Verlag der Autoren und Rob Vriens, Regisseur am Theater Gnaffel in Zwolle und Theaterhaus Frankfurt, Moderation Kirsten Waterstraat. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion folgt die Aufführung von „Schwarz wie Tinte“, eine Inszenierung des Theaterhaus Ensembles Frankfurt. „Schwarz wie Tinte“ von Ruth de Gooijer interpretiert die gleichnamige Erzählung des niederländischen Kinderbuchautors Wim Hofman. Die moderne Schneewittchen-Fassung wird von zwei Schauspielerinnen auf die Bühne gebracht, die nicht nur Stiefmutter und -Tochter darstellen, sondern auch die sieben Zwerge und alle anderen Figuren des bekannten Märchens.

In Kooperation mit dem Uni-Kino Pupille eröffnet die Filmreihe „Die Entdeckung des Nachbarn“ einen Blick auf das junge niederländische Kino, das die niederländische Gesellschaft kritisch und humorvoll zugleich unter die Lupe nimmt. Die Vorführungen (Original mit Untertiteln) starten jeweils um 20:30 Uhr Festsaal im Studierendenhaus, Campus Bockenheim (Eintritt 2,50 Euro). In „Nachtrit“ (13. Mai) dienen die wahren Geschehnisse des Amsterdamer „Taxi-Kriegs“ im Jahr 2000 als Kulisse für die Geschichte eines Taxifahrers, der sich selbständig machen möchte. In „Kicks“ (17. Juni) wird ein junger Niederländer marokkanischer Herkunft von einem Polizisten erschossen. Auf der Suche nach Wahrheit spaltet der Fall die Öffentlichkeit. Der Dokumentarfilm „Pretpark Nederland – A Funfair behind the Dikes“ (8. Juli) portraitiert das Freizeitverhalten der Niederländer aus der Sicht einer chinesischen Reisegruppe. Mancher Kinogast wird erstaunt sein ob der Gewohnheiten unserer westlichen Nachbarn.

Dass der niederländische Kulturraum größer ist, als unser westliches Nachbarland, ist vielen gar nicht bewusst. Im Gegenteil, sie reduzieren ihn häufig auf die niederländischen Provinzen Nord- und Süd-Holland. Außer den 16 Millionen Niederländern sprechen aber weitere sechs Millionen Belgier (Flamen) Niederländisch (genauer gesagt: Flämisch) und Niederländisch ist Amtssprache in Surinam und auf den niederländischen Antillen. Auf universitärer Ebene beschäftigt sich mit diesem Sprach- und Kulturraum die Niederlandistik, ein Fach, das sich in Deutschland immer größerer Beliebtheit erfreut. An der Goethe-Universität wird mit Einführung des Bachelors in der Germanistik nun die Möglichkeit geschaffen, Kurse in niederländischer Sprache und Kultur als studienrelevante Leistungen innerhalb des Optionalbereichs eines Bachelor-Studiums einzubringen.

Informationen Kirsten Waterstraat, Lektorat Niederländisch, Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik, Campus Westend, Telefon (069) 798- 32 851, k.waterstraat@lingua.uni-frankfurt.de