Nov 26 2009

Die Frankfurter Bürger-Universität im Dezember

50 Jahre Stiftungsgastdozentur für Poetik und die Geschichte der IG Farben

FRANKFURT. Die Goethe-Universität setzt im Wintersemester die erfolgreiche Frankfurter Bürger-Universität mit insgesamt 83 Veranstaltungen fort. Dabei bilden zwei eigens konzipierte Ringvorlesungen das ‚Herz‘ der populärwissenschaftlich orientierten Veranstaltungsreihe: zum einen die soziologische Serie ‚Wie wir wurden, wer wir sind – Deutsche Biografien‘, zum anderen die literatur- und kulturwissenschaftliche Reihe ‚Jahrestage - von der Varusschlacht bis zu Agenda 2010‘. Beide Reihen starteten im Oktober und werden in der ersten November-Hälfte mit folgenden Themen fortgesetzt:

Wie wir wurden, wer wir sind – Deutsche Biografien

7. Dezember 2009

Prof. Heiner Boehncke: Günter Grass (*1927)

19.30 Uhr, Zentralbibliothek der Stadtbücherei Frankfurt, Hasengasse 4, 60311 Frankfurt.
Eintritt frei

„Kaum jemand lag mit seinen Analysen so oft und so gründlich daneben, und kaum jemand wird für sein ständiges Danebengreifen so verehrt wie Grass“, schreibt Henryk M. Broder in Kein Krieg, nirgends. Doch egal, wie man zu Günter Grass steht: Festzustellen ist, dass der Literaturnobelpreisträger von 1999 oft und gern polarisiert und zur Auseinandersetzung mit Deutschlands Geschichte und Gegenwart anstachelt – beispielsweise als Helfer der Politik (zu erinnern wäre an seine Wahlkampfunterstützungen für Willy Brandt) oder als politischer Autor, der bevorzugt »gegen das Vergessen« schreibt und sich, wie in seinem wohl bekanntesten Roman Die Blechtrommel, mit dem Nationalsozialismus, dessen Hintergründen und Folgen auseinandersetzt. Mit seinem Bekenntnis, 1944 selbst zur Waffen-SS eingezogen worden zu sein, sorgte Grass 2006 für einen Aufschrei in der deutschen Öffentlichkeit.

Doch darf sich nicht auch ein Moralist und Provokateur wie Grass eine Privatheit in kritischen Punkten erlauben? Wie politisch und wieviel Provokateur darf und muss ein Künstler überhaupt sein? Und wie erarbeitet man sich durch beständiges Anecken einen festen Platz als intellektuelle Größe?

Heiner Boehncke ist außerplanmäßiger Professor am Fachbereich Neuere Philologien der Goethe-Universität. Über lange Jahre leitete er die Literaturredaktion des Hessischen Rundfunks.

21. Dezember 2009

Prof. Werner Plumpe: Friedrich Carl Duisberg (1861-1935)

19.30 Uhr, IG Hochhaus, Raum 311, Campus Westend, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt.
Eintritt frei

Friedrich Carl Duisberg war einer der führenden deutschen Industriellen in der Zeit um den ersten Weltkrieg und eine gleichsam ambivalente Persönlichkeit: So machte der promovierte Chemiker einerseits in den Farbenfabriken von Friedrich Bayer & Co in Elberfeld durch Erfindungen auf dem Farbstoffsektor von sich reden. Andererseits wurde unter seinem Vorsitz Giftgas für den Fronteinsatz im Ersten Weltkriegs produziert, und er setzte sich in dieser Zeit mit Walther Rathenau und Hugo Stinnes für die Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland ein. Nicht zuletzt gilt Duisberg als ‚geistiger Vater‘ der Interessengemeinschaft (IG) Farben, fungierte schließlich als deren Aufsichtsratsvorsitzender und war somit auch an der bis heute problematischen Positionierung des Unternehmens in der NS-Zeit beteiligt.

Wie wird aus heutiger Sicht mit dem Wirken Duisbergs zwischen vaterländischer Orientierung und moderner Naturwissenschaft umgegangen? Wie beeinflusste er als Pionier des modernen Unternehmertums die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands und die übergeordnete Selbstorganisation der chemischen Industrie?

Werner Plumpe forscht und lehrt am Historischen Seminar der Goethe-Universität. Er beschäftigt sich insbesondere mit Themen der Wirtschafts-, Industrie- und Sozialgeschichte der Neuzeit.

Jahrestage – von der Varusschlacht bis zur Agenda 2010

3. Dezember 2009 | Wilhelm II. – 150. Geburtstag
Prof. Peter Sprengel
Mehr als eine Karikatur.

Der letzte deutsche Kaiser im Spiegel der modernen Literatur
18.30 Uhr, Campus Westend, Hörsaal HZ 6, Hörsaalzentrum, Grüneburgplatz 1,
60323 Frankfurt. Eintritt frei

Als Wilhelm II. 1888 im Alter von 29 Jahren den Thron bestieg, galt er manchem Vertreter der Moderne als Hoffnungsträger. Bald jedoch entpuppte sich seine Kunstauffassung als extrem rückwärtsgewandt; Wilhelm II. erhob die Bekämpfung der „Rinnsteinkunst“ zur Chefsache. Darauf setzte eine Welle literarischer Auseinandersetzungen mit dem Kaiser ein – bis hin zu Thomas Manns ‚Königlicher Hoheit‘ und Heinrich Manns ‚Der Untertan‘. Eine neue Dimension erreichte die Kritik am letzten deutschen Kaiser mit dem Ende des Ersten Weltkriegs. In Karl Kraus’ ‚Letzten Tagen der Menschheit‘ erscheint Wilhelm II. als Maske des Unmenschen, bei Hermann Broch als Vertreter einer lebensfremden „Romantik“. Neben solchen Abgesängen auf den abgedankten Kaiser, an denen sich auch die Satiriker Kurt Tucholsky und Walter Mehring beteiligten, gab es aber auch Stimmen, die dem einsamen Schlossherrn von Doorn und seinen kulturgeschichtlichen Studien Respekt bezeugten. Neben dem Legitimisten Rudolf Borchardt gilt dies überraschenderweise auch für den einst vom Kaiser demonstrativ zurückgesetzten Dramatiker Gerhart Hauptmann.

Peter Sprengel, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin, ist unter anderem Verfasser zweier voluminöser Geschichten der deutschsprachigen Literatur von 1870 bis 1900 und 1900 bis 1918.

10. Dezember 2009 | 50 Jahre Frankfurter Stiftungsgastdozentur Poetik
Prof. Sigrid Weigel

Die Rückseite der Vorlesung. Ingeborg Bachmanns Frankfurter Poetik-Vorlesung
18.30 Uhr, Campus Westend, Hörsaal HZ 6, Hörsaalzentrum, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt.
Eintritt frei

Im Wintersemester 1959/1960 war Ingeborg Bachmann mit ihrer Vortragsreihe ‚Fragen zeitgenössischer Dichtung‘ die erste Dozentin der Stiftungsgastdozentur Poetik an der Goethe-Universität. Fragwürdig ist für Bachmann mit dem Glauben an eine vermeintliche „Stunde Null“ 1945 auch die Hoffnung auf einen literarischen Neuanfang. ‚Fragen zeitgenössischer Dichtung‘ betreffen zuallererst die mühevolle Arbeit an der Sprache, die Täter und Opfer des Nationalsozialismus zu teilen hatten. Bachmanns Vorlesungen formulieren nicht nur programmatische Überlegungen zum Schreiben jenseits der ‚Scheinfragen‘ des zeitgenössischen Literaturbetriebs: Sie sind auch im Blick auf ihre literaturpolitischen Kontexte sehr aufschlussreich und bedeuten Gratwanderungen im zeitgenössischen Literaturstreit, der im Feuilleton, in Briefen und Bachmanns engsten Freundschafts- und Liebesbeziehungen stattfand. Die sogenannte Goll-Affäre, hinter der sich der Paul Celan geltende Plagiatsvorwurf der Witwe Yvan Golls verbirgt und die auch Max Frisch herausforderte, mit dem Bachmann in jenen Jahren zusammenlebte, bildet den prekären Hintergrund der Rhetorik von Bachmanns Vorlesungen.

Sigrid Weigel, Professorin für Literatur und Kulturwissenschaften an der Technischen Universität Berlin und Direktorin des Berliner Zentrums für Literatur- und Kulturforschung (Berlin), hat unter anderem die vielbeachteten Biografie ‚Ingeborg Bachmann – Hinterlassenschaften unter Wahrung des Briefgeheimnisses‘ geschrieben.

17. Dezember 2009 | 2.000 Jahre Varusschlacht
Prof. Martina Wagner-Egelhaaf

[...] daß man nach Pfiffi- mich,/Statt Iphikon geführt
Zum Mythos Varusschlacht

Wie begeht man einen 2.000sten Jahrestag? Zumal wenn dieser Jahrestag auf ein Ereignis verweist, das in der Geschichte Deutschlands wiederholt im nationalistischen Sinne vereinnahmt wurde, indem die Deutschen spätestens im 17. Jahrhundert aus dem germanischen Cheruskerfürsten mit dem römischen Namen Arminius ihren Nationalhelden Hermann schufen? Und wenn man noch nicht einmal genau weiß, wo dieses Ereignis, das einst „Schlacht am Teutoburger Wald“ hieß, stattgefunden hat? Man erarbeitet eine große Ausstellung, die unter dem Titel ‚Imperium Konflikt Mythos‘ gleichzeitig an drei Orten – in Haltern am See, Kalkriese und Detmold – gezeigt wird, um verschiedenen Schauplätzen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin schreibt dem Ausstellungsprojekt eine offensichtlich nationale Bedeutung zu, was auch für den Mythos der Varusschlacht selbst gilt. Wie wurden diese Schlacht des Jahres 9 nach Christus und ihre Akteure in der Literatur- und Kunstgeschichte rezipiert? Warum scheint es so wichtig zu sein, das Ereignis zu verorten?

Martina Wagner-Egelhaaf, Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Münster, ist Expertin für die Autobiografie als literarische Erinnerungsarbeit.

Weitere Veranstaltungen

1. Dezember 2009

Durs Grünbein
Vom Stellenwert der Worte

Poetikvorlesung
18.15 Uhr, Campus Westend, Raum HZ 2, Hörsaalzentrum,
Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main. Eintritt frei.

2. Dezember 2009

Prof. Theo Dingermann
Der Genius hinter der biologischen Revolution

Im Rahmen der Ringvorlesung der Universität des 3. Lebensalters 14 Uhr, Campus Bockenheim,
Hörsaal H V, Hörsaalgebäude, Mertonstr. 17-21, 60325 Frankfurt. Eintritt frei

Prof. Luis Gutheinz SJ (Taipeh)
Drei Arbeitsinstrumente der chinesisch-theologischen Werkstatt

Im Rahmen der Gastprofessur ‚Theologie interkulturell‘
16.15 Uhr, Campus Westend, Raum 1.741b, Nebengebäude, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt. Eintritt frei

Eröffnung der Ausstellung
zur Geschichte der Stiftungsgastdozentur für Poetik

17 Uhr, Campus Bockenheim, Universitätsbibliothek, Foyer,
Bockenheimer Landstr. 134-138, 60325 Frankfurt. Eintritt frei.

Prof. David Abulafia (Cambridge)
Writing the History of the Mediterranean
Im Rahmen der Ringvorlesung ‚Das Mittelmeer als Kulturraum‘

18.15 Uhr, Campus Westend, Raum 411, IG-Hochhaus,
Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt. Eintritt frei

Durs Grünbein
Lesung: Strophen für übermorgen

20 Uhr, Literaturhaus Frankfurt, Schöne Aussicht 2,
60311 Frankfurt. Eintritt 6 Euro (ermäßigt 3.50 Euro, für Studierende nach Voranmeldung beim Literaturhaus frei)

8. Dezember 2009

Prof Günter Rager (Freiburg/CH) und Prof. Michael von Brück (München)
Liebe und Verantwortung

Im Rahmen der Templeton Research Lectures 2009/2010
18.15 Uhr, Campus Westend, Raum HZ 1, Hörsaalzentrum, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt. Eintritt frei

9. Dezember 2009

Priv. Doz. Frank Linhard
Werner Heisenberg und die Mechanik der Quanten

Im Rahmen der Ringvorlesung der Universität des 3. Lebensalters 14 Uhr, Campus Bockenheim,
Hörsaal H V, Hörsaalgebäude, Mertonstr. 17-21, 60325 Frankfurt. Eintritt frei

Prof. Luis Gutheinz SJ (Taipeh)
Der chinesische Beitrag zur christlichen Theologie
Im Rahmen der Gastprofessur ‚Theologie interkulturell‘

16.15 Uhr, Campus Westend, Raum 1.741b, Nebengebäude, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt. Eintritt frei

Dr. Fumni Olonisakin (London)
Feminist perspectives on Conflict, Security and Development

Im Rahmen der Ringvorlesung des Cornelia Goethe Centrums 18.15 Uhr, Campus Westend, Raum 1.314 (Eisenhower-Raum), IG-Hochhaus, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt. Eintritt frei

11. Dezember 2009

Dr. Jens-Arne Dickmann (Heidelberg)
Das römische Wohnhaus als sozialer Raum Leben, Wohnen und Arbeiten unter einem Dach

Im Rahmen von ‚Neue Archäologische Funde und Forschungen‘
19.15 Uhr, Campus Westend, Raum 1.801, Casino, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt. Eintritt frei

16. Dezember 2009

Prof. Manfred Faßler
Konrad Zuse
Von der Bauwirtschaft zur digitalen Geosozialität

Im Rahmen der Ringvorlesung der Universität des 3. Lebensalters 14 Uhr, Campus Bockenheim,
Hörsaal H V, Hörsaalgebäude, Mertonstr. 17-21, 60325 Frankfurt. Eintritt frei

Prof. Wolfgang Kaiser (Paris)
Passeurs de rives und interkultureller Handel im Mittelmeerraum. Eine Entzauberung

Im Rahmen der Ringvorlesung ‚Das Mittelmeer als Kulturraum‘
18.15 Uhr, Campus Westend, Raum 411, IG-Hochhaus, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt. Eintritt frei

Informationen Stephan M. Hübner, Pressereferent, Tel: (069) 798-23753, huebner@pvw.uni-frankfurt.de Das Programmbroschüre zur ‚2. Frankfurter Bürger-Universität‘ kann kostenlos über die Abteilung Marketing und Kommunikation angefordert werden: Tel. 798-22472 oder k.wagner@vdv.uni-frankfurt.de