Jun 15 2009

„Networking“ von Nervenzellen ist die molekulare Basis von Lernen und Erinnern

Moleküle für das Gedächtnis

FRANKFURT. Ein funktionierendes Gedächtnis beruht darauf, dass die Kontakte zwischen Milliarden Nervenzellen in unserem Gehirn sich ständig verändern und anpassen. Häufig verwendete Signalwege werden dabei ausgebaut wie eine Landstraße zu einer Schnellstraße. Selten benutze Signalwege können dagegen abgebaut werden, so dass sich die Signalübertragung verlangsamt. Um diese Prozesse auf molekularer Ebene zu verstehen, muss man die Vernetzung der Nervenzellen an den Kontaktstellen (Synapsen) untersuchen. In der aktuellen Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ berichten Prof. Amparo Acker-Palmer und Dr. Clara Essmann, wie Rezeptoren und Liganden benachbarter Nervenzellen kommunizieren,um Kontaktstellen zu bilden und zu stärken.

Zwischen den Milliarden Nervenzellen im Gehirn bestehen schätzungsweise 100 bis 500 Billionen Synapsen. Um Informationen empfangen zu können, besitzen Nervenzellen kurze dendritische Dornen, an deren Kopf Synapsen sitzen. Mit dem lang gezogenen Axon geben sie Informationen an andere Nervenzellen weiter. Synapsen sind Kontaktpunkte meist zwischen Axon (präsynaptisch) und Dendrit (postsynaptisch) benachbarter Nervenzellen. Doch woher „wissen“ die Zellen, mit welchen Nachbarn sie Kontakte knüpfen sollen? Wie erkunden sie ihr Umfeld und wie kommunizieren sie untereinander? Die Arbeitsgruppe von Acker-Palmer beantwortet diese Fragen, indem sie Oberflächenrezeptoren auf den Synapsen und die zugehörigen Botenmoleküle identifiziert.

Schon während der Gehirnentwicklung bilden unreife Dendriten zunächst kleine, dünne, sehr bewegliche Fortsätze (Filopodia) aus, die das neuronale Umfeld nach aktiven präsynaptischen Partnern absuchen, um mit diesen stabile synaptische Kontakte zu bilden. Ist der Kontaktpartner gefunden, werden aus den beweglichen Filopodia stabile reife Dornen, die charakteristischerweise wie Pilze aussehen: Mit ihrem dicken Kopf, langem Stiel und breitem Fuß sitzen sie dem Dendrit auf. Aber der anfängliche Kontakt ist meist nur vorübergehend; viele Synapsen werden wieder aufgelöst und versetzt, bis ein vollständig funktionierendes neuronales Netzwerk entstanden ist. Während der Gehirnentwicklung im Embryo und Kleinkind ist die größte Dynamik zu beobachten. Doch auch danach ist das Gehirn erstaunlich flexibel und lernfähig.

Inzwischen weiß man, dass an der Synaptogenese zahlreiche Moleküle beteiligt sind, die nicht nur Zeitpunkt und Ort der Synapsenbildung beeinflussen, sondern auch, wie spezifisch und stabil der Kontakt ist.. Diese Moleküle können löslich sein und von anderen, oft entfernt liegenden Zellen ausgeschüttet werden. Sie dienen unter anderem als „Lockstoffe“ und leiten Axone an ihr Ziel: Neue Verknüpfungen entstehen. Andere Moleküle sind in der Zellmembran verankert und wirken nur bei Zell-Zell-Kontakten. Unter diesen sind auch die Eph-Rezeptoren und Ephrin-Liganden, die in der Arbeitsgruppe von Acker-Palmer erforscht werden. Diese Moleküle passen wie Schlüssel und Schloss zusammen.

An Wachstumskegeln von Nervenzellen haben die Wissenschaftlerinnen beobachtet, wie diese ihren Weg finden: Wachstumskegel sind flache, fächerförmige Strukturen an der Spitze eines wachsenden Axons. Sie tasten die Umgebung ab und steuern so, in welche Richtung das Axon wächst. Gelangt der Wachstumskegel in fremdes Gebiet, wird er abgestoßen. Wie es dazu auf molekularer Ebene kommt, haben die Wissenschaftlerinnen unlängst herausgefunden: Die Ephrin-Liganden lösen nicht nur in der Rezeptor-tragenden Nachbar-Zelle ein Signal aus (Vorwärtssignal), sondern geben auch eines in die eigene Zelle zurück (Rückwärtssignal). Beide Arten der Signalgebung können bei den interagierenden Zellen eine gegenseitige Abstoßung bewirken. Dies geschieht, indem entweder durch eine Einstülpung der Membran der ganze an den Liganden gebundene Rezeptor in die Ligandenzelle aufgenommen wird oder der ganze Ligand in die Rezeptorzelle (Transendozytose). Somit ist ein Andocken nicht mehr möglich.

Auch bei Lernprozessen spielen die Ephrine und Eph-Rezeptoren eine wichtige Rolle: Entscheidend für die Gedächtnisbildung ist nämlich, dass die Kontakte zwischen den Nervenzellen nicht statisch sind, sondern immer wieder neu gebildet und wieder eliminiert werden können. Ebenso muss die Effizienz der Signalübertragung am synaptischen Kontakt veränderbar sein. Wird beispielsweise ein Kontakt innerhalb einer bestimmten Zeit häufiger stimuliert, reagiert er schneller. Ebenso hat das Ausschütten von Molekülen, die das Überleben von Neuronen sichern oder die die synaptische Leitfähigkeit modulieren, einen Einfluss auf den Kontakt. Dabei kommt es zu lang anhaltenden biochemischen und auch morphologischen Veränderungen in der Synapse, die letztlich zu einer verbesserten oder verschlechterten Übertragungseffizienz führen.

Informationen Prof. Amparo Acker-Palmer und Dr. Clara Essmann Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaft, Campus Riedberg, Tel.: (069) 798-29645 oder -29818, Acker-Palmer@bio.uni-frankfurt.de oder essmann@bio.uni-frankfurt.de