Apr 28 2006

„Die Emergenz des Geistes. Der Mensch und seine Freiheit in wissenschaftlicher, philosophischer und religiöser Perspektive“ - Philipp Clayton als erster Frankfurter Templeton Fellow

Auftakt der Templeton Research Lectures: Beherrscht die Materie den Geist?

FRANKFURT. „Beherrscht die Materie den Geist? Neurowissenschaften und Willensfreiheit“ - so lautet das Jahresthema, das im Zentrum der Frankfurt Templeton Lectures 2006 steht, die das Institut für Religionsphilosophische Forschung (IRF) der Goethe-Universität vom 9. bis 26. Mai ausrichtet. Erzwingen die Fortschritte der Neurowissenschaften die Verabschiedung oder die radikale Revision bisheriger fundamentaler philosophischer und theologischer Ansichten in Bezug auf Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen? Implizieren diese Forschungsergebnisse einen strengen Determinismus, oder ist darin eine Fehlinterpretation empirischer Daten zu sehen? Worin kann der Beitrag der modernen Theologie zu dieser Diskussion bestehen? Diesen Fragen stellt sich der erste Frankfurter Templeton Fellow, der international renommierte Philosoph und Theologe Prof. Dr. Philip Clayton (Claremont/USA), in seiner Vorlesungsreihe „Die Emergenz des Geistes. Der Mensch und seine Freiheit in wissenschaftlicher, philosophischer und religiöser Perspektive“.

Philip Clayton, der seine Vorlesung in deutscher Sprache halten wird, studierte Philosophie und Theologie in Yale und München. Er lehrt als Professor für Philosophie und Theologie an der Claremont Graduate University und an der Claremont School of Theology, Kalifornien (USA), und ist zur Zeit Visiting Fellow am St. Edmund’s College an der Cambridge University (England). Von 2006 bis 2007 wird er eine Gastprofessur an der Harvard Divinity School, Cambridge (Massachusetts/USA), übernehmen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Religionsphilosophie, Naturphilosophie, Metaphysik, Dialog zwischen Religion und Naturwissenschaft. Die sechs öffentlichen Vorträge finden jeweils um 19.00 Uhr am 9. Mai (Dienstag), 11. Mai (Donnerstag), 16. Mai (Dienstag), 18. Mai (Donnerstag), 23. Mai (Dienstag) und 26. Mai (Freitag) im Festsaal des Casinos des Campus Westend statt. Zu der Veranstaltungsreihe sind neben Wissenschaftlern und Studierenden aus allen Fachbereichen auch die interessierten Bürger eingeladen.

Das Institut für Religionsphilosophische Forschung hatte im vergangenen Jahr den weltweiten Wettbewerb um die Templeton Research Lectures gemeinsam mit der Vanderbilt University, Knoxville (USA), für sich entschieden. Innerhalb von drei Jahren stehen dem Frankfurter Institut fast 400.000 Dollar zur Verfügung, um im Dialog mit den Naturwissenschaften Antworten auf die schwierigen Fragen zum menschlichen Bewusstsein und zu den materiellen Bedingtheiten unseres Denksystems zu finden. Mit dem Templeton Lectures wurde die Universität Frankfurt in das Programm des Metanexus Institutes, Philadelphia (USA), aufgenommen. Finanziell unterstützt wird dieses Programm von der Templeton Foundation; sie fördert globale Initiativen, die sich mit Grenzfragen zwischen Theologie und Naturwissenschaften auseinandersetzen.

Philip Clayton beschäftigt sich in seiner ersten Vorlesung (9. Mai) mit der Frage „Das Zeitalter der Neurowissenschaften - das Ende der Freiheit?“ In weiten Kreisen drängt sich der Eindruck auf, dass der Wissenszuwachs im „Jahrzehnt der Neurowissenschaft” die Vorstellungen von Handlungsfreiheit, mentaler Kausalität und freiem Willen tief greifend und dauerhaft in Frage gestellt hat. Diese erste Vorlesung untersucht das explosionsartige Anwachsen neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und vermutlich bevorstehenden Entwicklungen. „Die wachsende Freiheit. Komplexität, Spontaneität und Handlung in der biologischen Evolution“ - diesem Themenkomplex wird sich Clayton in seiner zweiten Vorlesung (11. Mai) stellen. Als einen ersten Schritt zur Verteidigung dieser besonderen Freiheitsthese wird der Philosoph die Zunahme der biologischen Komplexität von den ersten einzelligen Organismen bis zu den höheren Primaten betrachten. Der stetige Anstieg spontaner Verhaltensweisen lässt darauf schließen, dass es für das Konzept organismischer Freiheit eine praktische Funktion gibt. Jüngste Forschungen im Bereich der Biosemiotik bieten einen spannenden neuen Ansatz, sich willentliches Handeln in der Welt vorzustellen. Mit „Ko-evolution, mentale Kausalität und menschliches Handeln. Freiheit im Spannungsfeld von Individuum und Kultur“ setzt sich der erste Frankfurter Templeton Fellow in seiner Vorlesung am 16. Mai auseinander. Diese Vorlesung verteidigt die These der „Ko-evolution“, der gegenseitigen Interdependenz von biologischer und kultureller Evolution. Das gibt Anlass, das Wahrheitsmoment in der evolutionären Entwicklungsbiologie (Evo-Devo) und in der Evolutionspsychologie einzuräumen. Clayton wird argumentieren, dass die „vertikale Dependenz“ des Geistes vom Gehirn und die „horizontale Dependenz“ des Denkens von weiter reichenden kulturellen Systemen einander ergänzen.

„Über religiöse Freiheit. Eine Rede an die wissenschaftlich Gebildeten unter ihren Verächtern“ betitelt Clayton seine vierte Vorlesung am 18. Mai. So verlockend der Gedanke einer „graduellen Freiheit” sein mag, die philosophischen und religiösen Traditionen betonen darüber hinaus eine noch radikalere Freiheitsidee. Nicht nur bei Kierkegaard, Heidegger und den Vertretern des Existentialismus, sondern auch im Laufe von Jahrhunderten religiöser Reflexion im Westen stößt man auf den Gedanken einer metaphysischen Freiheit, die mehr darstellt als lediglich ein ziemlich hohes Maß an Spontaneität. Diese Vorlesung fordert jene heraus, die im Namen aufklärerischer Vernunft und Kants Aufforderung „Sapere aude“ („Wage es zu wissen“) die religiöse Perspektive als unwesentlich abtun. Die zweitletzte Vorlesung am 23. Mai unterzieht die Neurophilosophie einer direkten Kritik. Unter dem Titel „Formen der Freiheit, Scheinfreiheit und als-ob-Freiheit“ wird Clayton konkurrierende Freiheitskonzepte kritisch analysieren und insbesondere graduelle, kompatibilistische, und als-ob-Freiheit mit radikaler, genuiner und metaphysischer Freiheit kontrastieren. Die Unterscheidung ist grundlegend für den eigenen Zugang zur Frage der menschlichen Existenz in der Welt.

Unter dem Titel „Die Emergenz des Geistes“ wird der Gastprofessor Schlussfolgerungen aus den vorausgegangenen fünf Vorträgen ziehen. Nur eine Position, die solche traditionell unter dem Stichwort „Geist“ beschriebenen Phänomene einschließt, vermag eine angemessene Theorie menschlichen Handelns und menschlicher Freiheit zu entwickeln, so Clayton. In diesem Zusammenhang wird der genaue Sinn diskutiert, in dem „Geist“ im Laufe der Naturgeschichte zum Vorschein kommt oder nicht.

Frankfurt Templeton Lectures 2006
WANN?
9. bis 26. Mai 2006 6 Vorlesungen: 9. Mai (Dienstag), 11. Mai (Donnerstag), 16. Mai (Dienstag), 18. Mai (Donnerstag), 23. Mai (Dienstag), 26. Mai (Freitag) Beginn jeweils 19.00 Uhr
WO?
Campus Westend Festsaal des Casinos Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt
Anfahrtsbeschreibung unter www.uni-frankfurt.de/ueber/campi/ westend/index.html

Nähere Information: Prof. Thomas M. Schmidt, Dr. Michael Parker, Institut für Religionsphilosophische Forschung, Fachbereich Katholische Theologie, Telefon 069/798 33270 oder 069/798 33348 , E-Mail: t.schmidt@em.uni-frankfurt.de ; m.parker@em.uni-frankfurt.de ; umfassende Informationen im Internet unter: www.trl-frankfurt.de

Hinweis für Journalisten: Interviews und Gespräche mit Prof. Philipp Clayton können ab 8. Mai jeder Zeit vermittelt werden, gern auch vor Beginn oder im Anschluss an die erste Vorlesung.


Herausgeber: Der Präsident Abteilung Marketing und Kommunikation, Postfach 11 19 32, 60054 Frankfurt am Main Redaktion: Ulrike Jaspers, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Telefon (069) 798 - 2 32 66 Telefax (069) 798 - 2 85 30, E-Mail: jaspers@ltg.uni-frankfurt.de Internet: www.uni-frankfurt.de