Grüne Chemie braucht mehr grüne Toxikologie
Bereits während der Entwicklung neuer Bio-Produkte lässt sich abschätzen, ob Risiken für die spätere Freisetzung giftiger Substanzen bestehen. Das zeigt eine Proof-of-Concept-Studie unter Federführung der Goethe-Universität Frankfurt und der RWTH Aachen. In der Studie wurde die Toxizität nachhaltiger Biotenside etwa für Bio-Schampoos und einer neuen Technologie zum sparsamen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln mit einem kombinierten Verfahren aus Computerberechnungen und Experimenten untersucht. Die Studie ist ein erster Schritt in Richtung einer ökotoxikologisch abgesicherten Bioökonomie, die nachhaltige Ressourcen und Prozesse nutzt, um Umweltbelastungen deutlich zu reduzieren.
FRANKFURT. Die
natürlichen Ressourcen des Planeten gehen zur Neige, gleichzeitig beruhen auf
ihnen Wohlstand und Entwicklung. Ein Dilemma, aus dem die EU mit ihrer
überarbeiteten Bioökonomie-Strategie herausfinden will. Statt auf fossile soll
sich die Wirtschaft künftig auf nachwachsende Rohstoffe stützen. Dazu gehören
Pflanzen, Holz, Mikroorganismen und Algen. Irgendwann bewegt sich alles in
Kreisläufen, jedoch braucht es für die Verwirklichung der zirkularen
Bioökonomie einen Wandel in der Herstellung von Chemikalien. Auch sie müssen
aus Biorohstoffen statt aus Erdöl gewonnen werden. Aus diesen Anforderungen
formulierten die US-Chemiker Paul Anastas und John C. Warner 1998 zwölf
Prinzipien der Grünen Chemie. Einer ihrer Grundsätze wurde bisher jedoch stark
vernachlässigt: die Reduzierung der Umwelt-Toxizität von neu entwickelten Stoffen.
Genau hier setzte das interdisziplinäre Projekt “GreenToxiConomy"
an, das Teil des Wissenschaftsverbundes Bioeconomy Science Center (BioSC) ist.
Ziel war es, biobasierte Stoffe und neuartige Technologien schon früh in der
Produktentwicklung auf umwelttoxische Effekte hin abzuklopfen und die
Erkenntnisse daraus ins Produktdesign einfließen zu lassen. Für die
Untersuchungen stellten Projektpartner aus Aachen, Jülich und Düsseldorf zwei
ihrer biobasierten Produktkandidaten zur Verfügung: Biotenside und Pflanzenschutz-Mikrogelbehälter.
Die waschaktiven Biotenside für den Einsatz in Shampoos oder
Reinigungsmitteln basieren bei BioSC statt auf Rohöl auf den Syntheseleistungen
des Bakteriums Pseudomonas putida beziehungsweise des Pilzes Ustilago maydis.
Die Mikrogel-Technologie ermöglicht die kontrollierte Abgabe von
Pflanzenschutzmitteln, weil die Behälter dafür sorgen, dass die Wirkstoffe auch
bei Regen an den Pflanzen haften bleiben.
Dr. Sarah Johann, Erstautorin der Studie und
Arbeitsgruppenleiterin in der Abteilung Evolutionsökologie und
Umwelttoxikologie am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der
Goethe-Universität Frankfurt, erklärt: “Für die Untersuchung der neuartigen
Substanzen und Technologien haben wir einen breiten Konzentrationsbereich
ausgewählt, um mögliche potenzielle Gefährdungen für Mensch und Umwelt gut
abschätzen zu können. Wir wollten untersuchen, ob die biobasierten Tenside noch
umweltfreundlicher als herkömmliche chemische Tenside sind. Und wir wollten
ausschließen, dass von den Mikrogelbehältern als solche irgendeine Toxizität
ausgeht."
Um die ökotoxikologische Evaluierung möglichst präzise werden zu
lassen, kombinierte das Projekteam zwei Dinge für die Toxizitätsbestimmung
miteinander: computergestützte Voraussagen (in silico) und Experimente im Labor
(in vitro und in vivo). Die Computermodelle arbeiten mit Toxizitätsdaten von
bekannten Chemikalien, deren Struktur sie mit der Struktur der neuen
biobasierten Stoffe verglichen, um so die Toxizität vorauszusagen. Die Experimente
wurden an wasser- und landlebenden Organismen durchgeführt, die bestimmte
Organismengruppe repräsentieren, darunter Regenwürmer, Springschwänze,
Wasserflöhe und Zebrafischembryonen im ganz frühen Stadium.
Das Ergebnis: Sowohl Biotenside wie auch Mikrogele sind
vielversprechende Kandidaten für den Einsatz im Sinne einer künftigen
Bioökonomie, deren Produkte sowohl nachhaltig hergestellt werden als auch beim
und nach dem Gebrauch keine Umweltschäden oder Schäden für den Menschen
hervorrufen. “Wir können unsere Aussagen allerdings nur in gewissen Grenzen
treffen, denn die Übertragung von Laborergebnissen auf die Realität im Freiland
oder in anderweitigen Anwendungen ist kompliziert", so Johann. Für eine
gesamtheitliche Bewertung des Risikopotentials braucht es mehr Forschung,
weswegen Folgeprojekte geplant sind.
Prof. Henner Hollert, Leiter der Abteilung Evolutionsökologie und
Umwelttoxikologie der Goethe-Universität Frankfurt, unterstreicht die Bedeutung
der engen interdisziplinären Zusammenarbeit bei “GreenToxiConomy", Im Projekt
designten Biotechnologen und Ingenieure zusammen ein neues Produkt, das während
der Entwicklungsschritte von Ökotoxikologen der Goethe-Universität gemeinsam
mit einem Team an der RWTH Aachen um Prof. Dr. Martina Roß-Nickoll bewertet
wurde. „Dieser fortlaufende Prozess ist die große Stärke des Projekts." Zwar
markiere es nur einen ersten Schritt in Richtung einer ökotoxikologisch
abgesicherten Bioökonomie. Aber für Hollert steht jetzt schon fest, dass
Ökotoxikologie beziehungsweise Green Toxicology bei den Plänen der EU eine
zentrale Rolle spielen wird. “Geht es um künftige biobasierte
Produktentwicklung und Produktdesign, müssen wir die Folgen für Mensch und
Umwelt frühzeitig klären. Da kann unser Ansatz wertvolle Dienste leisten."
Publikation: Sarah Johann, Fabian G. Weichert, Lukas Schröer, Lucas Stratemann,
Christoph Kämpfer, Thomas-Benjamin Seiler, Sebastian Heger, Alexander Töpel,
Tim Sassmann, Andrij Pich, Felix Jakob, Ulrich Schwaneberg, Peter Stoffels,
Magnus Philipp, Marius Terfrüchte, Anita Loeschcke, Kerstin Schipper, Michael
Feldbrügge, Nina Ihling, Jochen Büchs, Isabel Bator, Till Tiso, Lars M. Blank,
Martina Roß-Nickoll, Henner Hollert. A plea for the
integration of Green Toxicology in sustainable bioeconomy strategies –
Biosurfactants and microgel-based pesticide release systems as examples. In: J. Hazard. Mat. 426
(2022) 127800. https://doi.org/10.1016/j.jhazmat.2021.127800
Weitere Informationen
Prof. Dr.
Henner Hollert
Institut für Ökologie, Evolution und Diversität
Goethe-Universität Frankfurt
Tel: +49 (0)69 798-42171
hollert@bio.uni-frankfurt.de
https://www.bio.uni-frankfurt.de/43970666/Abt__Hollert